Soziologie des Geldes

  • Kraemer K
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Abstract

" Die Schwierigkeit liegt nicht so sehr in den neuen Gedanken, als in der Befreiung von den alten, die sich bei allen, die so erzogen wurden, wie die meisten von uns, bis in die letzten Winkel ihrer Geistesart verzweigen. " J.M. Keynes 1 Vorbemerkung Geld ist faszinierend. Für die meisten Menschen gilt dies wegen der Kaufkraft, wegen der Erwartung, alles damit erreichen zu können, und auch wegen der Macht, die Geld zuge-schrieben wird: " Geld regiert die Welt! " Doch das, was mit Geld vermeintlich oder wirklich anzufangen ist, interessiert soziologisch weniger; viel eher das, wie Menschen in ihrer Ori-entierung an Geld handeln. Denn sozialwissenschaftlich geht es um Beschreibung, Analyse und Erklärung des menschlichen Handelns und dessen Wirkungen. Doch Geld als eigen-ständiges Thema wird in zeitgenössischen Büchern über soziologische Grund-oder Haupt-begriffe gar nicht bzw. angesichts der gesellschaftlichen Bedeutung von Geld nur unange-messen behandelt. Christoph Deutschmann resümiert wohl auch deshalb: " Die Aufmerk-samkeit, die das Thema Geld in der Poesie immer genossen hat, hat in der Wissenschaft freilich bis heute nur wenig Widerhall gefunden. " (Deutschmann 2002: 7) Das ist ein Manko, weil eine besondere Beachtung der allgemeinen Orientierung an Geld zumindest in den sogenannten postindustriellen oder ‚Überflussgesellschaften' einen wachsenden Anteil des Handelns der Menschen zutreffend zu erfassen, zu analysieren und zu erklären ermöglicht. Deutschmann fährt fort: " Auch der ‚Kollege von nebenan', nämlich der Ökonom, weiß zum Geld nicht allzu viel zu sagen. " (Deutschmann 2002: 7) Eine plausible sozialwissenschaftliche Grundlage für geldsoziologische Beobachtungen bietet eine allgemeine Handlungstheorie. Nach dieser kommt den Handlungsorientierungen – hier mehr oder weniger unbewusste Vorstellungen über Geld (Kellermann 2005: 115 ff.) – neben den Handlungsfertigkeiten – z. B. mit Geldeinheiten umgehen zu können – im Rah-men der jeweils gegebenen Handlungssituation besondere Bedeutung zu. Dementspre-chend konzentriert sich die folgende Darstellung auf die erlernten Ansichten über Geld, entsprechende Überzeugungen und Motive sowie auf für selbstverständlich gehaltene An-nahmen. Möglicherweise verhindern gerade diese Selbstverständlichkeit, die heutige Alltäg-lichkeit und die Ubiquität von Geld eine entsprechende Aufmerksamkeit. Die Vorstellungen von Geld, seiner Anwendung und die sich daraus ergebenden ge-sellschaftlichen Folgen waren in der geschichtlichen Entwicklung sehr variabel. Diese sind sozialwissenschaftlich nur mehr insoweit von Bedeutung, als sie in modernen Geldgesell-Soziologie des Geldes 321 schaften zur Mystifizierung von Geld (‚Mysterium Geld') beitrugen. Davon lassen sich die realen Funktionen von Geld unterscheiden. Dennoch sei zunächst ein kurzer Abriss der Geschichte des Geldes vorausgeschickt, wobei zwischen der Ideen-und der Sachgeschichte zu unterscheiden ist. 2 Kurze Geschichte des Geldes (Gold und Geld) Es ist grundsätzlich schwierig, wenn nicht gar unmöglich, sich eine zutreffende Vorstellung von gesellschaftlichen Verhältnissen zu bilden, die lange Zeit zurückliegen. Vieles, was heute selbstverständlich erscheint, also ohne Überlegung akzeptiert oder als ‚naturgegeben' nicht in Frage gestellt wird, würde für die Vorfahren – häufig infolge des beschleunigten Wandels sogar für die zuletzt vorangegangene Generation – unvorstellbar, zumindest un-glaubhaft gewesen sein. So ist es auch empfehlenswert, die zeitgenössischen Darstellungen der Entstehungsgeschichte von Geld und seinen Rollen im Leben früherer Zeiten als nicht wirklich verbürgt anzusehen: " So alt wie das Geld ist der Streit um seine Anfänge. Für Adam Smith ist Geld aus dem Handel entstanden, für Bernhard Laum aus religiösen Moti-ven, für John Locke aus Bedürfnissen der Wertaufbewahrung, für Wilhelm Gerloff aus Pres-tigedrang, für Karl Marx aus dem Zwang, Werte zu messen, für Aristoteles aus dem Zah-lungsmittelbedarf, für Georg Friedrich Knapp aus staatsrechtlicher Konvention. In Wahrheit weiß man weder warum, noch wann, wo und wie Geld auf die Erde kam. Man weiß nur, daß Geld in vorhistorischer Zeit schon sehr viele Gesichter hatte: Kühe und Käse, Perlen und Pelze, Muscheln und Metalle, Waffen und Weiber, Salz und Sklaven. " (Weimer 1992: 11 f.) Aus dieser Sicht ist die Formel " Geld ist, was als Geld gilt " (Bammé 2005: 10) nach-vollziehbar. Dennoch muss bezweifelt werden, dass früher – sagen wir im klassischen Alter-tum – Geld so umfassend gesehen und eingesetzt wurde wie allmählich seit der Entwick-lung von Lohnarbeit auf der Basis von Zeiteinheiten. Möglicherweise erfuhr Gold damals eine zwar besondere, gleichwohl qualitativ andere Wertschätzung als Geld in modernen Marktgesellschaften: Gold ist vergleichsweise selten vorhanden, obwohl es so gut wie nicht vergänglich ist; glänzend bearbeitet ist es nicht nur schön anzusehen, sondern scheint auch Geheimnisse – wohl wegen seiner Dauerhaftigkeit – zu enthalten, weshalb es einerseits dem Sakralen, dem Heiligen, zugerechnet wurde, andererseits sündhaft begehrt wurde. Die Geschichte des Alten Testaments vom Tanz um das Goldene Kalb steht für den göttlichen Bezug, die Legende von König Midas' Wunsch, dass alles zu Gold werden möge, was er berührt, für die Gier nach diesem Metall. Es lässt sich behaupten, dass diese beiden Merk-male des Goldes sich durch die Jahrtausende auf das moderne Geld übertragen haben: ver-göttlicht zu werden und Objekt von Habgier zu sein. Der Aspekt, dass Geld schon früh auch mit Macht verbunden gesehen wurde, lässt sich an politischen Regelungen Athens im vierten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung ver-deutlichen: " Doch ist das Problem sehr viel komplizierter, denn es scheint nicht so zu sein, daß die Münze von Anfang an und notwendigerweise dieselbe Bedeutung und Funktion hatte wie später. " (Austin, Vidal-Naquet 1984: 46) " Eigene Münzen zu prägen galt als ein Symbol politischer Unabhängigkeit, und das Recht auf Münzprägung war ganz selbstver-ständlich ausschließliches Privileg der polis. " (Austin, Vidal-Naquet 1984: 103, Hervorh. im

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Kraemer, K. (2018). Soziologie des Geldes. KZfSS Kölner Zeitschrift Für Soziologie Und Sozialpsychologie, 70(3), 499–502. https://doi.org/10.1007/s11577-018-0562-6

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