Ein Legionslager als Ausgangspunkt für eine Untersuchung zu Kultorten und Kulten Dank des sehr guten Forschungs- und Kenntnisstands bietet sich Vindonissa, das einzige kaiserzeitliche Legionslager im Gebiet der heutigen Schweiz, auch an für die Erforschung von Fragestellungen, die sich etwas ausserhalb der Kernthemen der römischen Militärarchäologie bewegen. Diese Arbeit untersucht das religiöse Leben von Vindonissa – sowohl der militärischen als auch der zivilen Siedlungsteile – vom 1. Jh. v. Chr. bis zum Ende des 3. Jh. n. Chr. Hauptziel ist es, das durch Kulthandlungen fassbare religiöse Leben von Vindonissa (Legionslager und Zivilsiedlung) im Kontext der historischen Entwicklung der Fundstelle vorzulegen und zu interpretieren. Im Vordergrund steht dabei die chronologische Entwicklung der Kultorte und Kulthandlungen mit besonderer Berücksichtigung der Übergangszeiten bei der Ankunft und beim Abzug der Legionen. Die Sakral- und Kultbauten von Vindonissa In Vindonissa bilden die principia mit der aedes den zentralen Kultort für die militärische Gemeinschaft. Dies wird durch die Untersuchung zu deren Baugeschichte deutlich. Ab der Mitte des 1. Jh. n. Chr. finden bei den principia eine architektonische Entwicklung und ein Monumentalisierungsprozess statt, die auch in anderen Legionslagern zu beobachten sind. Die Kulthandlungen spielten sich in der Basilika oder im Hof der principia ab. Spätestens ab der zweiten Hälfte des 1. Jh. ist ein kleiner Antentempel an der Kreuzung der wichtigen Lagerstrassen belegt. Hiermit entsteht eine für die Militärarchitektur singuläre Situation, die zu einer Abweichung in der Sakraltopografie von Vindonissa im Vergleich zu anderen Legionslagern führt. Extra muros kann die Errichtung der beiden gallorömischen Sakralbauten (Umgangstempel) an der westlichen beziehungsweise südlichen Ausfallstrasse in die Zeit nach dem Abzug der 11. Legion datiert werden (2. Jh. n. Chr.). Weitere Manifestationen und Orte der rituellen Kommunikation Für die Identifikation der Kulthandlungen, deren Überreste nicht im Bereich der kanonischen Architektur deponiert wurden, wurden Fundkategorien der gesamten Fundstelle herangezogen, die nicht oder nicht nur aus Sakral- oder Kultbauten stammen, dennoch in Kultpraktiken Verwendung fanden (Kap. IV). Die Analyse dieser Kategorien und ihre Verteilung innerhalb der Fundstelle können folglich Hinweise zu weiteren Orten der rituellen Kommunikation liefern. Drei grössere Gruppen bilden hierbei die analytischen Kategorien: Erstens gross- und kleinplastische Erzeugnisse (die AdressatInnen), zweitens Kultinstrumente und Kultgefässe und drittens die Ergebnisse der rituellen Kommunikation (inschriftlich festgehaltene Weihungen und rituelle Deponierungen). Das Spektrum der grossplastischen Steindenkmäler ist in Vindonissa auffallend klein. Metallstatuetten sind nur intra muros; Terrakotten sind intra und extra muros belegt. Unter den Metallstatuetten dominiert Merkur, bei den Terrakotten Venus. Bei den Kultinstrumenten und bei den Kultgefässen ist vor allem die chronologische Entwicklung der Räucherkelche und Schlangengefässe hervorzuheben. In Vindonissa sind Räucherkelche schon zur Zeit der 13. Legion zu registrieren. Schlangengefässe sind hingegen rarer und erst ab der 2. Hälfte des 1. Jh. n. Chr. zu fassen. Mit über 80 % sind Räucherkelche der in Vindonissa am häufigsten fassbare Typ von Kultgefässen. Die inschriftlich festgehaltenen Weihungen erreichen ihren Höhepunkt in der zweiten Hälfte des 1. Jh. n. Chr., wobei die Mehrheit der Weihungen Angehörigen des Militärs zuzuschreiben ist. Die 11. Legion ist hierbei die am häufigsten vertretene Gruppierung. Im Allgemeinen scheint das Medium der Weihealtäre beim Militär beliebt zu sein. Dank neueren Grabungsergebnissen ist es für Vindonissa auch möglich, die Präsenz von rituellen Deponierungen zu diskutieren. Im Bereich der Kontubernien befand sich eine Grube mit zwei Glöckchen und einem silbernen Miniaturtorques direkt unter den Fundamenten der 21. Legion; die Grube kann somit als Bauopfer gedeutet werden.Im Corpus der epigraphisch und ikonographisch fassbaren Gottheiten dominiert Mars (bei den Inschriften), Merkur (bei den Metallstatuetten) und Venus (bei den Terrakotten). Die Beliebtheit von Mars kann mit der Verbindung zum Militär erklärt werden. Das Spektrum der in Vindonissa vertretenen Gottheiten gestaltet sich im Vergleich zu anderen Fundstellen ziemlich eng. Möglicherweise waren im 1. Jh. n. Chr. (als Vindonissa die grösste Ausdehnung erreichte) noch nicht alle Gottheiten im ikonographischen und im epigraphischen Repertoire vertreten. Generell sind die Verbreitungskarten der Statuen/Statuetten, Kultinstrumente/Kultgefässe und Inschriften vorsichtig zu interpretieren. Abbrucharbeiten und Umlagerungsprozesse (etwa durch die Legionen selber oder in der «Nachlagerzeit») dürften die Verteilungen massgeblich beeinflusst haben. Areale mit Konzentrationen jener Kategorien werden somit einer befundkritischen Analyse unterzogen, um ihre Deutung als Kultort zu prüfen (Kap. V). Im Nordosten des Legionslagers deuten die Befunde und Funde (u.a. kleinteilig zerschlagene Inschriften) weniger auf einen Sakral- oder Kultbau hin als auf den planmässigen Abbruch eines solchen Gebäudes. Extra muros, im östlichen Teil der Zivilsiedlung sind ebenfalls nachlagerzeitliche Eingriffe in der Sakraltopografie zu beobachten: Zwei Inschriften wurden in einem kleinen Raum in der Zivilsiedlung Ost neu aufgestellt. An zwei topografisch prominenten Stellen wird zudem die Präsenz von weiteren Kultorten postuliert. Der Fund eines Architekturfragments an einer Erhöhung ca. 600 m südlich des Legionslagers macht die Präsenz eines Sakralbaus plausibel. Diskutiert wird des Weiteren auch die Frequentierung von weiteren Orten der rituellen Kommunikation intra muros (valetudinarium, Thermen, scholae) und extra muros (Amphitheater, Campus). Mit der Konstruktion des Amphitheaters in der ersten Hälfte des 1. Jh. n. Chr. wird ein Ort für grössere Zuschauermengen geschaffen, wo unter anderem auch Kulthandlungen für das Kaiserhaus inszeniert wurden. Vindonissa im Kontext der Entwicklung der Kultpraktiken in und um Militäranlagen Die in Vindonissa fassbaren Kultorte und Kulte können mit den Entwicklungstendenzen der an anderen Militärplätzen praktizierten Religionen verglichen werden. Bereits in den Legionslagern der späten Republik und der augusteischen Zeit lassen sich Kulthandlungen über die Architektur und über das Fundmaterial fassen. Mit dem Aufkommen der dauerhaft angelegten Standlager im Verlaufe des 1. Jh. n. Chr. kommt die Praxis auf, inschriftlich festgehaltene Weihungen zu setzen. Dies wird in den folgenden zwei Jahrhunderten zu einer zunehmend häufig zu beobachtenden Kulthandlung. Gleichzeitig kann an mehreren Standorten ein „Monumentalisierungsprozess“ an den repräsentativen Innenbauten – vor allem an den principia und Fahnenheilgtum/aedes – beobachtet werden. Die in anderen Militärstandorten übliche Praxis, Kaiserstatuen in den principia aufzustellen, ist in Vindonissa jedoch noch nicht belegt. Ausser dem Fahnenheiligtum/aedes ist keine standardisierte, reichsweite Sakralarchitektur in Militäranlagen zu verzeichnen. Bislang einzigartig bleibt somit die Präsenz des Sakralbaus im Lagerzentrum von Vindonissa, welcher in die Lagertopographie integriert wird. Ab dem 2. Jh. n. Chr. manifestieren sich lokale Kulte in Form der gallorömischen Sakralbauten im Bereich der Zivilsiedlungen. Auch wenn Vindonissa nach Abzug der 11. Legion nicht zu einem regionalen Zentrum wird, zeigt die Entwicklung der Kultorte, dass der Siedlung in dieser Periode noch immer eine gewisse Bedeutung beizumessen ist.
CITATION STYLE
Lawrence, Andrew. (2018). Religion in Vindonissa - Kultorte und Kulte im und um das Legionslager, GPV XXIV. Religion in Vindonissa - Kultorte und Kulte im und um das Legionslager, GPV XXIV. LIBRUM Publishers & Editors. https://doi.org/10.19218/3906897295
Mendeley helps you to discover research relevant for your work.