Sind alle Patienten gleich? Sind alle Therapeuten gleich? Tun alle Therapeuten im Wesentlichen das Gleiche? Im Jahr 1966 brandmarkte der Gesprächstherapeut Donald Kiesler diese (nicht nur) damals weit verbreiteten Annahmen als „Uniformitätsmythos“, ein Begriff, der zuerst ( 1964 ) für die unzulässige Gleichsetzung aller Patienten eingeführt wurde. Kieslers Auseinandersetzung mit dem Uniformitätsmythos gehört mittlerweile zu den Klassikern der Psychotherapieforschung. Wie von ihm vorhergesagt, hat sich der Uniformitätsmythos als wesentliches Fortschrittshemmnis für die Patientenversorgung und das Verständnis psychotherapeutischer Wirkungen erwiesen. Therapieansätze, die eine weitgehend einheitliche Pathogenese der (nichtpsychotischen und nichtorganischen) psychischen Störungen unterstellen, gehen konsequenterweise auch von einer weitgehenden Gleichheit der Behandlungsverfahren aus. Bemerkenswerterweise gilt allerdings für die meisten dieser Therapieansätze, dass sie eine Grobklassifikation zumindest implizit akzeptieren, da sie ja eine Abgrenzung von psychotischen und organisch bedingten Störungen voraussetzen. Dennoch wird hier die nosologische Diagnostik nicht nur als unnötig, sondern gar als potenziell schädlich angesehen (z. B. Menninger 1974 ; vgl. Schuster 1985 ; Kröber 1986 ).
CITATION STYLE
Margraf, J., & Schneider, S. (2018). Diagnostik psychischer Störungen mit strukturierten Interviews. In Lehrbuch der Verhaltenstherapie, Band 1 (pp. 273–286). Springer Berlin Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-54911-7_17
Mendeley helps you to discover research relevant for your work.