Konfliktaustragung in akephalen Gesellschaften: Selbsthilfe und Verhandlung

  • Spittler G
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Zwei Grundlegende Strategien der Konfliktlösung: Selbsthilfe im Sinne von Fehde oder Krieg und Verhandlung. In akephalen Gesellschaften (d. h. Gesellschaften ohne politische Zentralinstanz) gibt es meist auch keine Instanz der Rechtssprechung. Geschädigte greifen zum Mittel der Selbsthilfe, um sich Recht zu verschaffen. Spittler untersucht in diesem Artikel, wie ‘Consensus’ zwischen Fehdeführenden entstehen kann, wie und ob Fehden als Institutionen der Konfliktregelung von den Konfliktparteien anerkannt werden. Selbsthilfe eines Geschädigten definiert Spittler als eine Handlung, die an ein Rechtsbewusstsein gekoppelt ist. Er sucht eine ihm angemessen erscheinende ‘rechtmässige’ Vergeltung. Dabei sind zwei Phasen zu unterscheiden: Der ‘Selbst-Interpretation’ folgt eine ‘Selbst-Ausführung’. Selbsthilfe bedeutet dabei nicht, dass der Geschädigte alleine handelt. In der Regel wird er durch Verwandte/Freunde unterstützt. Das Schafdiebstahl-Beispiel S146. Selbsthilfe als Reaktion auf Normbrüche sind «Handlungen, die normalerweise selbst widerrechtlich wären und nur in dieser ganz spezifischen Situation (Sanktion auf Normbruch) als Rechtmässig gelten.» Das lässt einen Consensus zwischen den Konfliktparteien als sehr unwahrscheinlich erscheinen. Die Gefahr, dass Konfliktketten (Beispiel: Vendetta) entstehen ist gross. Trotzdem gibt es Unterschiede zwischen Fehden und Krieg. Fehden haben nach Middleton/Tait (S147) die Versöhnung «institutionell vorgesehen», Kriege nicht. Dass die Angst vor der Fehde abschreckende Wirkung habe (S149), überzeugt Spittler nicht. Er weist darauf hin, dass die meisten ‘akephalen’ Gesellschaften trotzdem irgendwie in staatliche Strukturen eingebettet sind, und eine Zentralgewalt im Hintergrund wesentlichen Einfluss ausübt. In vielen Tribalen Gesellschaften, die Fehden führen, ist Erziehung zu Mut und Kampf wesentlicher Bestandteil der männlichen Sozialisation. Die Begrenzung von Konflikten sieht Spittler daher weniger in der «balanced opposition» sondern a) im häufigen Abwandern der Schwächeren in ein anderes Gebiet und b) und Kreuzbindungen zweischen dern Parteien. Kreuzbindungen zwischen den Parteien (durch Handel (S151), Heirat, ‘Frauentausch’) schaffen die Voraussetzung für alltägliche Kommunikation, die im Falle von Konflikten den Weg zu Verhandlungen weisen können. ‘Organisierter Frauentausch’ erhöht darüberhinaus die Zahl der Personen, die an einer gütlichen Konfliktregelung interessiert sind. Die Verbindungen durch Frauentausch seien aber vorallem in patrilinearen, virilokalen Gesellschaften nicht zu überbewerten: Manchmal reicht sie aus, einen Konflikt zu verhindern, manchmal nicht. Am wenigsten kriegerisch erweisen sich matrilineare uxorilokal Gesellschaftsformen – dort fehlen geschlossene männliche Interessengruppen (S155). In der Mitte liegen matrinineare Gesellschaften mit Tendenz zu virilokalität. Verbindungen durch Verwandschaft/Heirat und Handel führen typischerweise zu ‘diffuser Kommunikation’ (keine direkte Begegnung zwischen den Konfliktparteien, keine Konfrontation der Standpunkte). Diffuse Kommunikation ist nicht direkt auf die Lösung eines Konfliktes konzentriert. Verhandlungen (nach gewissen Regeln, und ‘face-to-face’) vermögen Konfklikte eher beizulegen. Die Elemente einer typischen Verhandlung: Regeln, Klären der Standpunkte, (normative) Argumentation, Widerspruch, Lösungsvorschläge, suchen nach Übereinfkunft. Fazit: «Selbsthilfe als rechtliche Institution kann nur dann einigermassen befriedigend funktionieren, wenn zumindest die Alternative der Verhandlung besteht.» S157. Die Frage stellt sich, ob es auch akephale Gesellschaften gibt, in denen nur Verhandlungen anzutreffen sind. (Viele EthnologInnen bejahen das (Gulliver/Colson) Spittlers These: Im Hintergrund steht oft dennoch eine Staatsgewalt, die mindestens eine indirekte (z. B. Strafverfolgung von grossen Delikten wie Mord), oft aber auch eine direkte (Teil-Anerkennung von ‘lokaler Justiz’) Rolle spielt. Dem hätte man noch zu wenig Rechnung getragen. «Ethnologen sehen oft auch dort Akephalie, wo sie nicht (mehr) existiert.» S159.

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Spittler, G. (1980). Konfliktaustragung in akephalen Gesellschaften: Selbsthilfe und Verhandlung. In Alternative Rechtsformen und Alternativen zum Recht (pp. 142–164). VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-96990-3_8

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