Die Kraft zur Angst und die zum Glück sind das gleiche

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Abstract

In diesem Artikel wird Adornos Vorstellung von Glück herausgearbeitet. Quellen für Adorno sind vor allem Benjamin, aber auch Bloch, Simmel, Freud Nietzsche, Kierkegaard, Schopenhauer, Kant und Hegel, sowie Proust, Kraus und Kafka. Benjamins Einfluss wird allerdings hier nicht weiter vertieft, es wird nur auf dessen Trauersoielbuch und seine Aphorismen zur Geschichte verwiesen. Es scheint eine Einigkeit zwischen Benjamin, Bloch und Adorno gegeben zu haben darüber, dass eine vage Vorstellung von Glück immer notwendig ist, um ein Anderes zur gegenwärtigen Gesellschaft überhaupt denken zu können (MM333). Aber anders als Bloch weigert sich Adorno fundamental und konsequent, Hoffnung auf Glück zu einem Prinzip zu machen. Seine Hoffnung ist nur eine methodische, nämlich dass die Ausführung des Ganzen rein negativ eine Ahnung vom Glück lassen würde (MM334). Von der Psychoanalyse übernimmt Adorno das Konzept der Lust als einer rein körperlichen Freude. Sie kann zwar sublimiert und dadurch in „höheren`` geistigen Erfahrungen aufgehoben werden, aber dadurch verliert sie auch an unmittelbarer Intensität. Menschen sublimieren, um sich nicht der Verwundbarkeit auszusetzen, die die körperliche Lust immer mit sich bringt. Die Psychoanalyse versucht, die Genussfähigkeit der Menschen wiederherzustellen. Das ist der Punkt, an dem Adorno nicht mitgeht: Genussfähigkeit herzustellen bedeute, den Menschen den Verhältnissen so anzupassen, dass er innerhalb dieser Verhältnisse genussfähig ist. Konsequenterweise müsse Psychoanalyse die Menschen zum Bewusstsein ihres Unglücks führen. Rath zufolge gibt es auch bei Freud selbst eine Kritik an sogenannenten Glückssurrogaten, die mit derjenigen Adornos überraschend verwandt sei, obwohl Freuds Einschätzung der Kultur als Versuch Aller, das Glück Aller herzustellen, mit Adorno nichts gemeinsam habe. Adorno wendet sich gegen „Psychohygiene`` und die „Ermahnung zur Happiness`` (MM74). Laue Zufriedenheit kann nicht Glück ersetzen. Adorno hält am romantischen Glück fest, Rath gestattet sich den Einfwurf: Am kindlichen Glück. In Bezug auf Kunst behauptet Adorno: Künstler sublimieren nicht (MM284, ÄT 23). Wie genau Kunst mit Glück zusammenhängt, führt Rath leider nicht weiter aus. Gegen Freud verteidigt Adorno auch das Recht der Metaphysik, die eben nciht in Metapsychologie aufgehoben werden kann. Glück muss sowohl somatisch erfahren als auch metaphysisch grundiert sein. (Was ist Metaphysik bei Adorno und wie verhält sich die Resonanztheorie dazu?) Die Psychoanalyse hätte ihren ursprünglichen Nonkonformismus verloren, wenn sie sich an amerikanische MIttelklassenormen anpasse. Ihre Stärke war, als bürgerliche Selbstkritik die Pathologien des Normalen zu benennen (Fromm). Übrig bleibt nur das verordnete Glück: Der Neurotiker muss dazu das letzte bisschen Vernunft auch noch aufgeben. Adorno unterscheidet zwischen diesem falschen, verordneten Glück und einem wahren Glück, das nur individuell und nicht gezielt herstellbar ist. Leiden dagegen ist historisch spezifisch und meistens unnötig, weil es letztlich bestimmten Partikularinteressen Anderer diene. Es ist im Prinzip aufhebbar. In diesem Sinne verhält es sich asymmetrisch zum Glück. Andererseits ist es ebenso wie dieses körperlich erfahren. Die Philosophie habe sich dem Leiden gegenüber befremdlich desinteressiert gezeigt. Die Kälte der gesellschaftlichen Monade sei Indifferenz gegen das Schicksal der Anderen. Anscheinend plante Adorno sogar ein Buch über Kälte, starb aber vorher. Das Leid ist eine so grundlegende Erfahrung für Adorno, dass er in seiner ND sogar Transzendenz eine Teleologie zuspricht, die auf Versöhnung und Tröstung des bereits vergangenen Leids abzielt. (Man erkennt hier, wie stark Adornos Denken im Holocaust begründet war). Habermas zeigte sich solchen umfassenden Ansprüchen gegenüber schon sehr skeptisch und interpretierte sie als Bedürfnis nach Theologie. Trotzdem verweigert sich Adorno auch, die Theorie auf konkretes Bekämpfen von Leid festzulegen. Die Zurkenntnisnahme des Leids bleibt eine abstrake, was ihm zum Beispiel von Lukacs ad hominem vorgeworfen wurde. Erfahrung von Glück erfordert ein bis zur Selbstpresigabe aufgeschlossenes Selbst, das auch bereit ist, sich zutiefst erschüttern zu lassen. Auch in dieser Erschütterung kann eine Aussicht auf zumindest entferntes Glück liegen. (ÄT364) Kunstwerke enthalten eine Art Geschichtsschreibung ihrer Epoche und daher auch ein Gedächtnis der Negativität. In einer idealen Gesellschaft würde Kunst verschwinden. Wie sich Odysseus an den Mast fesseln lässt, um den Sirenen zu widerstehen, ist eine Allegorie für das Glück der bürgerlichen Gesellschaft, dessen sie sich so hartnäckig verweigert. Dazu stellt Rath eine Bemerkung über den Charakter von Adornos Denken überhaupt: Im Widerspruch zum Bilderverbot in Bezug auf die Zukunft ist sein Denken gerade sehr bildhaft, und das sogar programmatisch: Er bezeichnet die Arbeit der Kritischen Theorie als nicht Theorien im herkömmlichen Sinn, sondern vielmehr „Gesten aus Begriffen`` (Brief an Horkheimer, 21.8.1941) Adorno zweifelt daran, dass der Glückliche überhaupt wissen kann, dass er glücklich sei: Denn das Glück ist Erinnerung oder Nachbildung der Geborgenheit in der Mutter, und in dem Moment, indem es erkannt wird, ist man schon geboren und hat vom Glück nur noch eine Erinnerung übrig. Deshalb kann es niemals wahr sein, wenn jemand sagt, dass er glücklich sei, sondern nur, dass er glücklich war. (Das scheint in einem krassen Widerspruch zu Rosas Anspruch zu stehen, weil der Glück als eine Beschreibung abstrakt zu fassen versucht. Andererseits ist es vielleicht gar nicht so abewegig, dass Resonanz nur in der Abwesenheit des Bewusstseins von der REsonanztheorie tatsächlich stattfinden kann. ) Liebe, bzw. Glück qua Liebe, ist ein Schenken. Aber das Schenken erfordert auch Nehmen, und das Verhältnis ist ein ganz anderen als eine Tauschbeziehung. In diesem Sinne bezeichnet Adorno Glück als überholt, weil unökonomisch. Nicht nur das Schenken sei ein Problem geworden, sondern ebenso das Nehmen. (MM290, 113) „Erkenntnis hat kein Licht, als das von der Erlösung her auf die Welt scheint`` (MM333) Glück steht im Zentrum von Adornos Denken überhaupt: Das alles findet statt, weil er negativ das Glück entwirft. Adorno über Paul Valéry: Sein Gesamtwerk ist einziger Protest gegen die tödliche Versuchung, es sich zu leicht zu machen, dem man dem ganzen Glück und der ganzen Wahrheit entsagt. Lieber am Unmöglichen zugrundegehen`` (Noten zur Literatur Band 1, 193) Rath: „Glück mag ein Ziel sein, aber nicht es selbst, sondern allenfalls das, was ihm gegenübersteht, kann Gegenstand Kritischer Theorie sein`` (192) (Auch hier wieder ein Widerspruch zu Rosas Versuch) Am Schluss erweckt Rath wieder den Eindruck, Adorno sei es wesentlich um die Abwesenheit von Angst gegangen. Aber ist das nicht eher eine Verkürzung, die er für die politische Theorie und nicht für das Denken überhaupt vorgesehen hat?

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Rath, N. (1997). Die Kraft zur Angst und die zum Glück sind das gleiche. In Glücksvorstellungen (pp. 177–196). VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-87296-8_11

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