Tiefe und tiefste Töne

  • von Helmholtz H
N/ACitations
Citations of this article
1Readers
Mendeley users who have this article in their library.
Get full text

Abstract

Die Schwebungen geben uns ein wichtiges Mittel ab, die Grenze der tiefsten Töne zu bestimmen und über gewisse Eigentümlichkeiten des Übergangs von der Empfindung getrennter Luftstöße zu der eines ganz kontinuierlichen Klanges Rechenschaft zu geben, an welche Aufgabe wir zunächst gehen wollen. Auf die Frage, wie groß die kleinste Zahl von Schwingungen sei, welche noch die Empfindung eines Tones hervorrufen könne, sind bisher sehr widersprechende Antworten gegeben worden. Die Angaben der verschiedenen Beobachter schwanken zwischen 8 (Savart) und etwa 30 ganzen Schwingungen für die Sekunde. Der Widerspruch erklärt sich durch gewisse Schwierigkeiten der Versuche. Erstens nämlich ist es nötig, die Stärke der Luftschwingungen für sehr tiefe Töne außerordentlich viel größer zu machen als für hohe, wenn sie einen ebenso starken Eindruck auf das Ohr machen sollen. Es ist von mehreren Akustikern zuweilen die Voraussetzung ausgesprochen worden, daß unter übrigens gleichen Umständen die Stärke der Töne verschiedener Höhe der lebendigen Kraft der Luftbewegung direkt proportional sei, oder, was auf dasselbe herauskommt, der Größe der zu ihrer Hervorbringung aufgewandten mechanischen Arbeit; aber ein einfacher Versuch mit der Sirene zeigt, daß, wenn die gleiche mechanische Arbeit aufgewendet wird, um tiefe oder hohe Töne unter übrigens gleichen Verhältnissen zu erzeugen, die hohen Töne eine außerordentlich viel stärkere Empfindung hervorrufen als die tiefen. Wenn man nämlich die Sirene durch einen Blasebalg anbläst, so daß ihre Scheibe immer schneller und schneller umläuft, und wenn man dabei darauf achtet, die Bewegung des Blasebalgs ganz gleichmäßig zu unterhalten, so daß sein Hebel gleich oft in der Minute und immer um dieselbe Größe gehoben wird, wobei denn auch der Balg gleichmäßig gefüllt bleibt und immer dieselbe Menge Luft unter gleichem Druck in die Sirene getrieben wird: so hat man anfangs, so lange die Sirene langsam läuft, einen schwachen tiefen Ton, der immer höher und höher wird, dabei aber gleichzeitig an Stärke außerordentlich zunimmt, so daß die höchsten Töne von etwa 880 Schwingungen, die ich auf meiner Doppelsirene hervorbringe, eine kaum ertragbare Stärke haben. Hierbei wird fortdauernd bei Weitem der größte Teil der sich gleichbleibenden mechanischen Arbeit auf die Erzeugung der Schallbewegung verwendet und nur ein kleiner Teil kann durch die Reibung der umlaufenden Scheibe in ihren Achsenlagern und durch die mit ihr in Wirbelbewegung gesetzte Luft verloren gehen. Diese Verluste müssen bei schneller Rotation größer werden als bei langsamer, so daß für die Hervorbringung der hohen Töne sogar weniger Arbeitskraft übrig bleibt, als für die tiefen; und doch erscheinen in der Empfindung die hohen Töne so außerordentlich viel stärker, als die tiefen Töne. Wie weit übrigens diese Steigerung nach der Höhe sieh fortsetzt, kann ich bisher nicht | angeben, weil die Geschwindigkeit meiner Sirene bei demselben Luftdrucke eben nicht weiter gesteigert werden kann. Die Zunahme der Tonstärke mit der Tonhöhe ist besonders bedeutend in den tiefsten Gegenden der Skala. Daraus folgt denn weiter, daß in zusammengesetzten Klängen von großer Tiefe die Obertöne den Grundton an Stärke übertreffen können, selbst wenn in Klängen derselben Art, aber von größerer Höhe, die Stärke des Grundtons bei Weitem überwiegt. Es ist dies leicht zu erweisen mittels meiner Doppelsirene, da man an dieser mittels der Schwebungen immer leicht feststellen kann, ob ein gehörter Ton der Grundton, der zweite oder dritte Ton des betreffenden Klanges sei. Wenn man nämlich an beiden Windkästen die Reihen von 12 Löchern öffnet und die Kurbel, welche den oberen Kasten bewegt, einmal umdreht, gibt der Grundton, wie oben auseinandergesetzt ist, 4 Schwebungen, der zweite Ton 8, der dritte 12. Läßt man nun die Scheiben langsamer als gewöhnlich umlaufen, zu welchem Zwecke ich an dem Rande der einen Scheibe eine mit Öl benetzte Stahlfeder unter verschiedenem Drucke schleifen lasse, so kann man leicht Reihen von Luftstößen erzeugen, die sehr tiefen Tönen entsprechen, dann die Kurbel drehen, und die Schwebungen zählen. Läßt man die Geschwindigkeit der Scheiben allmählich steigen, so findet man, daß die zuerst entstehenden hörbaren Töne 12 Schwebungen bei einer Umdrehung der Kurbel machen, so lange die Zahl der Luftstöße noch unter 36 bis 40 ist. Bei Tönen zwischen 40 und 80 Luftstößen hört man bei jeder Drehung der Kurbel 8 Schwebungen. Hier ist also die höhere Oktave des Grundtons der stärkste Ton. Erst bei mehr als 80 Luftstößen hört man die vier Schwebungen des Grundtons. Es wird durch diese Versuche bewiesen, daß Luftbewegungen, deren Form nicht die der pendelartigen Schwingungen ist, deutliche und starke Empfindungen von Tönen hervorrufen können, deren Schwingungszahl 2 oder 3 Mal so groß als die Zahl der Luftstöße ist, ohne daß der Grundton durchgehört wird. Wenn man in der Skala immer tiefer hinabgeht, nimmt die Empfindungsstärke, wie man hieraus

Cite

CITATION STYLE

APA

von Helmholtz, H. (1913). Tiefe und tiefste Töne. In Die Lehre von den Tonempfindungen als Physiologische Grundlage für die Theorie der Musik (pp. 290–298). Vieweg+Teubner Verlag. https://doi.org/10.1007/978-3-663-18653-3_10

Register to see more suggestions

Mendeley helps you to discover research relevant for your work.

Already have an account?

Save time finding and organizing research with Mendeley

Sign up for free