Frankreichs Außenpolitik seit Kriegsende wird von folgenden Grundzielen bestimmt, denen alle Staatspräsidenten der V. Republik bei aller unterschiedlichen diplomatischen Praxis substantiell verpflichtet waren: Stets legten sie größten Wert auf die nationale Unabhängigkeit des Landes, dessen „exzeptionelle“ Stellung in der Weltpolitik sie zugleich genauso energisch und wenn nötig kompromisslos zu bewahren suchten. Auch bei einer nüchternen und realistischen Analyse der den außenpolitischen Traditionen Frankreichs zuwiderlaufenden Entwicklungen in der internationalen Politik seit 1945 beanspruchten die führenden Politiker aller Parteien nach wie vor eine Sonderrolle für die tatsächlich auf den Status einer Mittelmacht reduzierte Grande Nation. Bis zu den Umwälzungen in Osteuropa begründeten die Funktion als Schutzmacht in Berlin, die „Verantwortung für Deutschland als Ganzes“, der ständige Sitz im Weltsicherheitsrat sowie seit 1960 der Besitz einer eigenen Atomstreitmacht die französischen Ambitionen. Von diesen Attributen einer herausragenden Machtposition sind nur noch das — auf Dauer in seiner Exklusivität wohl bedrohte — Vetorecht im UN-Sicherheitsrat und die in ihrer Abschrekkungswirkung fragwürdige Force de Frappe geblieben. Die deutsche Einheit ließ Frankreich schlagartig bewusst werden, dass es seine seit de Gaulles Präsidentschaft weiterhin akzeptierte kontinentale Führungsrolle in politischen Kernfragen der westeuropäischen Länder verloren hatte und seither — nach der Verschiebung des europäischen Gravitationszentrums stärker nach Osten — nicht nur geographisch eher eine Randlage einnimmt.
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Kempf, U. (1999). Das politische System Frankreichs. In Die politischen Systeme Westeuropas (pp. 289–330). VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-99308-3_9
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