Leitgesichtspunkte einer Soziologie der Inklusion und Exklusion

  • Stichweh R
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Abstract

1. Inklusion und Exklusion als Grundlagentheorie des Sozialen Soziologie der Inklusion und Exklusion ' Neuentwicklung in den Sozialwissenschaften der letzten 30-40 Jahre; Erste paradigmatische Figur ' Mitgliedschaft: Kommunikative Berücksichtigung von Personen in Sozialsystemen als Mitgliedschaft analog citizenship oder Organisationszugehörigkeit (Ursprünge in der Wohlfahrtsstaatstheorie von T:H: Marshall). Zweite ' Solidarität: französische Sozialtheorie à la Durkheim; Exklusion als Bruch von Solidarität. Jener Solidarität, die Gesellschaften im Innersten zusammenhält. "Inklusion meint alle intentionalen Anstrengungen der Integration, die die von Exklusion bedrohten Personen der Solidarität versichern" (Stichweh, 2009: 29). Drittes ' Paradigma der Disziplinierung oder Sozialdisziplinierung (Anmerkung: Stefans Vorlesung FS10 und gemeinsame HS10!). Bei Goffman & Foucault ' Universalität der Disziplinierung übergreift Bedeutung von Inklusion und Exklusion - vielfältige Varianten der Disziplinierung (auch innergesellschaftlicher Ausschluss, z.B. Gefängnis gehört dazu) in heterogenen Sozialsystemen. Stichweh schlägt vierte Variante vor: "Wir behandeln Gesellschaften als Kommunikation und gehen unter diesen Voraussetzungen davon aus, dass die Unterscheidung von Inklusion und Exkusion die Frage der Bezeichnung oder der Adressierung von Personen in Sozialsystemen betrifft […] Kommunikative Akte der Adressierung können Mitgliedschaften zusprechen oder abweisen; sie können die Aktivierung oder Verweigerung von Solidarität deutlich machen, und schliesslich kann in ihnen das Moment der Kontrolle und der Disziplinierung hervortreten" (Stichweh, 2009: 30). 2. Situationen der Kommunikation (S. 30) Kommunikative Akte - unter dem Aspekt der Beteiligung betrachten ' turn-taking in Konversationen (wer wird als nächste SprecherIn ausgewählt, wem wird die Sprechrolle übergeben ect GRUPPENWERKSTATT!) Exklusionen sind schwerer zu erschliessen als Inklusionen - expliziter Ausschluss ‚Sie werden hier nicht länger geduldet' = selten, nicht die dominante Form des Ausschlusses! "Sie haben häufiger die Form eines Nichtereignisses oder eine Sequenz von Nichtereignissen als die eines fixierbaren Ereignisses. Man hat in einem Gespräch den Eindruck, nicht mitgemeint zu sein oder sogar unerwünscht zu sein; aber das ist ein Eindruck, der sich erst durch eine Kette von Momenten hindurch verfestigt und der auch schwer zu beweisen ist" (Stichweh, 2009: 31). 3. Erwartungen und Rollen (S. 32) Wiederholungen und Stabilisierungen von Erwartungen definieren soziale Rollen über die Inklusion vollzogen wird. Zwei Typen von Inklusionsrollen: a) Leistungsrolle (Zuständigkeit für Leistungen und Vollzüge, die konstitutiv für das jeweilige Teil-/System sind) b) Komplementär- oder Publikumsrolle (Rolle als LeistungsabnehmerIn und/oder BeobachterIn ist immer in Bezug auf die Leistungsrolle konzipiert). 4. Ebenen der Systembildung (S. 32) ' "Interaktionssysteme können diejenigen, die die Bedingungen der Anwesenheit erfüllen, nur schwer exkludieren" (Stichweh, 2009: 32) - leichte ist es für Organisationen. Hier sind Inklusions- und Exklusionsbedingungen über Mitgliedschaften geregelt; Ausschluss eindeutig und sozial kein Problem, da man/frau in unzähligen anderen Organisationen Mitglied werden kann. Interaktionssysteme und Organisationen - deren sachspezifischen Spezifikationen nur verständlich, wenn sie auf gesellschaftsweite Makrosysteme bezogen werden (Wirtschaft, Wissenschaft, Erziehung, Recht ect. Anmerkung R.S.: sicher auch Bildung und Familie). 5. Inklusion und Exklusion in Funktionssystemen (S. 33) Funktionssysteme ' der zentralste und interessanteste Gegenstand einer Soziologie der Inklusion und Exklusion! "Sie sind gross, unübersichtlich, schliessen der Möglichkeit nach alle Menschen auf der Erde als Inklusionsadressen ein - und aus diesem Gründen kommt in ihnen sowohl Inklusion wie Exklusion millionenfach vor" (Stichweh, 2009: 33). Unterscheidung ' Leistungs- und Publikumsrolle als Modi der Inklusion = typisches Merkmal zur Typisierung von Funktionssystemen, sehr stark ausgeprägt ist diese Unterscheidung in Funksitonssystemen in denen eine Profession die "operativen Vollzüge des Systems kontrollierende Stellung besitzt" (Stichweh, 2009: 33). Stichweh führt das Krankeitssystem, das Recht, die Religion und die Erziehung auf. Letzteres ist m.E. jedoch fraglich, haben doch zunehmend die PsychologInnen das Sagen über die Zuteilung zu Sonderbeschulungen aller Arten… Wo Stellung der Professionen stark ist ' eindeutige Zuteilung der Rollen "Der Pubilkumsstatus bedeutet in diesen Systemen, dass Inklusion die Form der Betreuung (‚people processing') der Publikumsrollen durch die Leistungsrollen annimmt" (Stichweh, 2009: 33). Anmerkung: Überschneidung von Professionalisierung und people processing siehe ' Stichweh, 2008 ev. auch Ursula Streckeisen im Studienbuch?? Zwei Formen von Exklusion. a) Ausschluss von Möglichkeiten und Berechtigungen der Betreuung, wie sie Funktionssysteme mit starken Professionen bieten; b) Ausschluss vom Zugang zu den generalisierten Symbolen der auf Kommunikationsmedien basierten Funktionssysteme. 6. Der Voluntarismus globaler Funktionssysteme und das Postulat der Vollinklusion (S. 35) Sichtweise der einzelnen Funktionssysteme ' Grund ihrer globalen Verbreitung ist ihre Nichteinschränkbarkeit . "Globalisierung und Inklusion verhalten sich wie zwei Seiten derselben Medaille" (Stichweh, 2009: 35). Stichweh ' These ‚Anomie der Weltgesellschaft' 7. Semantiken, Normen, Werte Erwartungsstrukturen der Systeme ' zunehmend normativ: In der Geschichte der Systeme lassen sich beobachten, wie "(…) eigenständige kognitive Welt der Semantiken, Normen und Werte der Inklusion und Exklusion entsteht" (Stichweh, 2009: 36). Durch diese lassen sich Funktionssysteme beschreiben und rekonstruieren, sie wirken aber auch präskriptiv und antizipativ an den Strukturbildungen der Systemen mit. Daher ist ein Studium der Mechanismen der Inklusion und Exklusion "(…) ein Studium der Semantiken, Normen und Werte der Inklusion und Exklusion un der Weisen, in denen diese sich Geltung verschaffen" (Stichweh, 2009: 36). 8. Illegitimität der Exklusion - Inklusion/Exklusion als asymmetrische Unterscheidung - die Institutionen der inkludierenden Exklusion (S. 37) Folge der oben erwähnten Semantiken und Normen = tendenzielle Illegitimität von Exklusion in der Moderne. Charakteristik der Unterscheidung Inklusion und Exklusion ' asymmetrische Unterscheidung nach Dumont eine hierarchische Opposition. D.h. die eine der beiden Unterscheidungen schliesst die andere in sich ein. In Übereinstimmung mit Foucault und Luhmann stellt Stichweh fest: "Unter modernen Bedingungen ist eine Exklusion nur "zulässig", soweit sie in die Form einer Inklusion gebracht wird" (Stichweh, 2009: 36). Für jede Form des Ausschlusses muss eine Institution der Inklusion geschaffen werden z.B. Gefängnis, Psychiatrieanstalt ect. "Auch der slum oder die favela ist alles andere als ausserhalb der Gesellschaft zu verorten" (Stichweh, 2009: 37). Diese versteht Stichweh als Beleg,d ass Menschen die kleinsten sich bietenden Chancen nutzen, an den Ressourcen der Zentren partizipieren zu können. Würden sie auf dem Lande bleiben, wären sie wirklich marginalisiert. 9. Die Abwesenheit eines "Aussen" - Reversibilität der Exklusionen (S. 37) 1. "Es gibt in der Weltgesellschaft der Gegenwart keine sozial unbesetzten Räume mehr und insofern existiert kein gesellschaftliches Aussen - und es existiert schon gar nicht in der Form anderer Gesellschaften -, in das die zu exklusiderenden sozialen Adressen abgeschoben werden könnten" (Stichweh, 2009: 37). "Alle Exklusion ist innergesellschaftlich und insofern Inklusion" (Stichweh, 2009: 38). 2. Moderne Gesellschaften sind Organisationsgesellschaften ' Institutionen inkludierender Exklusionen sind primär Organisationen z.B. Gefängnisse, Psychiatrien, Beschäftigungsanstalten. 3. Moderne Gesellschaften kennen kaum noch Exklusionen, die unwiderruflich/irreversibel sind. Nach Stichweh sind selbst Genozide der Moderne aufgrund der Memorialkultur konterkariert. "Selbst die Vernichtungslager der Nazis dokumentieren die Illegitimität der Exklusion" (Stichweh, 2009: 38). 10. Inkludierende Exklusion und exkludierende Inklusion: Strukturen und Gegenstrukturen der Moderne (S. 38) Organisationen der inkludierenden Exklusion gehören zu den bestimmenden Erfindungen der Gesellschaften des 19. und 20. JHs. Bsp. Jugendsozialhilfe. Tabelle 1: Gegenüberstellung von Institutionen, die inkludierende Exklusion betreiben und Institutionen, die exkludierende Inklusion ausüben (explorativ) --> siehe pdf = Stichweh_2009_inklusion_exklusion.pdf 11. Gleichheit und Ungleichheit (S. 40) Produktion von Ungleichheit (und Gleichheit) existieren auf beiden Seiten der Unterscheidung Inklusion und Exklusion. Inklusionsseite --> formale Gleichheit = Fokus des analytischen Interessens "(…) herauszufinden, auf der Basis welcher Mechanismen (kumulativer Vorteil; Verstärkung kleiner Differenzen etc.) die Institutionen der Gleichheit (Gleichheit der Inklusion) unablässig Ungleichheit produzieren […] Das analytische Interessen konzentriert sich dann darauf zu zeigen , wie die Institutionen der inkludierenden Exklusion trotz der guten Absichten, die sie verfolgen, unübersteigbare Schwellen zwischen Inkluisons- und Exkusionsbereich errichten und wie sie insofern die von ihnen bereuten kommunikativen Adressen auch als re-inkludierte Adressen dauerhaft mit einem Stigma markieren" (Stichweh, 2009: 41). ODER ' Kontinuitäten der Unterschiede hervorheben = Unterschiede sind beliebig abstufbar; Inklusion und Exklusion sind mit gesellschaftlichen Selbstbeschreibungen verknüpft "(…) gesellschaftliche Selbstbeschreibungen, die an bestimmten Punkten Diskontinua präferieren und diese dann als Exklusionen dramatisch markieren" (Stichweh, 2009: 41).

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Stichweh, R. (2009). Leitgesichtspunkte einer Soziologie der Inklusion und Exklusion. In Inklusion und Exklusion: Analysen zur Sozialstruktur und sozialen Ungleichheit (pp. 29–42). VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91988-1_2

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