Die Bundestagswahl vom 18. September 2005 hatte nach Einschätzung vieler drei Verlierer: die SPD, die Union und die Wahlforscher. Das Wort vom „Debakel der Demoskopie“1 machte die Runde. Damit war in erster Linie gemeint, dass die vor der Wahl ermittelten Werte für die Union deutlich über ihrem tatsächlichen Anteil bei der Wahl selbst lagen. Kritisiert wurde aber auch, dass die von den einzelnen Instituten ermittelten Daten über die Stärken der Parteien in den Medien eine zu große Resonanz gehabt und letztlich eine künstliche, mit der Realität aber nicht übereinstimmende Wechselstimmung weg von der rot-grünen Koalition hin zu einer schwarz-gelben Alternative erzeugt hätten. Elisabeth Noelle-Neumann und ihr erster Ehemann Erich-Peter Neumann haben den von Stuart Dodd verwendeten Begriff „Demoskopie“ („völkische Beobachtung“) als Bezeichnung für ihr nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes gegründetes Institut verwendet. Damit sollte die von den Nazis als jüdische Wissenschaft diskreditierte und zudem als US-Besatzungsmacht-Forschung gebrandmarkte Umfrageforschung mit einem vornehmen Begriff in Deutschland salonfähig gemacht werden. Unter Journalisten wird dieser Begriff als Synonym für Umfrageforschung verwendet — in der breiten Bevölkerung hingegen ist diese Bezeichnung bis heute unbekannt.
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Güllner, M. (2008). Bauch oder Kopf: Der Verlauf der Meinungsbildungsprozesse vor der Bundestagswahl 2005. In Fortschritte der politischen Kommunikationsforschung (pp. 153–169). VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90534-1_7
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