Erlebniswelten als inszenierte erlebnisorientierte Lernorte der Wissensgesellschaft

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Abstract

In den letzten Jahren ist Bewegung in die Bildungslandschaft gekommen. Das informelle Lernen in der Freizeit, das Lernen außerhalb tradierter Bildungsinstitutionen wie Schu-le und Weiterbildungseinrichtungen hat einen zunehmend hohen Stellenwert gewonnen. Die Wissenschaft spricht von einer Entgrenzung des Lernens angelehnt an die Debatten um die Entgrenzung der alltäglichen Lebensführung und der Arbeit (Voß 1998; Kirch-höfer 2004, 2005). Die vielfältigen Veränderungen in der Arbeits-und Lebenswelt vor dem Hintergrund von Individualisierungs-, Flexibilisierungs-und Globalisierungstenden-zen lassen auch die bisherigen Begrenzungen der zeitlichen und räumlichen Verortungen der Lernstrukturen und der Lernformen erodieren und sich ganz oder teilweise auflösen. In wissenschaftlichen und politischen Diskussionen wird die Notwendigkeit einer neuen Lernkultur und eines lebenslangen Lernens postuliert, um einen breiten Zugang zum kom-plexen wissenschaftlichen und technologischen Wissen zu ermöglichen. Mit dem Übergang von der eher produktorientierten Industriegesellschaft zur wissens-basierten Dienstleistungsökonomie bzw. Wissensgesellschaft wird theoretisches Wis-sen als wichtigste Ressource der postindustriellen Gesellschaft formuliert (Bell 1976). Der Begriff der Wissensgesellschaft (Knowledge Society) findet bereits seit Anfang der 1990er Jahre in den USA Verwendung (Stehr 1994). In Deutschland wird er seit 1998 stärker rezipiert. Mit der sogenannten Lissabon Strategie (2000) erfährt er auch auf euro-päischer Ebene seitens der Wirtschafts-und Gesellschaftspolitik Verbreitung (Kirchhöfer 2005). Nutzen und Organisation von Wissen wird als zentrale Quelle von Produktivität 672 R. Freericks und Wachstum begriffen. Es werden zunehmend hohe Anforderungen an die Bildung der Gesellschaftsmitglieder gestellt, um im weltweiten Wettbewerb konkurrenzfähig zu sein. Bildung ist ein wesentlicher wirtschaftlicher Standortfaktor. Dass unsere gegenwärtige Gesellschaft als moderne Wissensgesellschaft bezeichnet werden kann, basiert insbesondere auf dem Vordringen moderner Wissenschaft und Tech-nik in alle Lebensbereiche und Institutionen (Stehr 2001, S. 11). Die Entwicklung zu einer Wissensgesellschaft erfordert heute neue Anstrengungen in vielen gesellschaftlichen Be-reichen, um das Ziel ‚zukunftsweisende Reformen' im Bildungssektor zu erreichen. Kri-tische Stimmen gegenüber unserem tradierten Bildungssystem werden immer lauter an-gesichts des eher schlechten Abschneidens deutscher Schulen in den international verglei-chenden Pisa-Studien und den starren und behäbigen traditionellen Bildungsstrukturen. In der Wissensgesellschaft werden zunehmend Erlebniswelten (vgl. u. a. Nahrstedt et al. 2002; Kagelmann et al. 2004; Steinecke 2007, 2009) als neue inszenierte erlebnisorien-tierte Lernorte in den Blick genommen. Erlebniswelten wie Freizeitparks, Science Center, Zoos und Erlebnismuseen bekommen als inszenierte Lernorte eine wachsende Bedeutung in einer Gesellschaft, " in der die konstruktive, lernende Verarbeitung von Informationen einen immer größeren Stellenwert einnimmt und wirtschaftlicher wie kultureller Reich-tum stärker von Wissen und Wissensproduktion abhängt " (Nahrstedt et al. 2002, S. 5). Auf erlebnisorientierte Lernorte stützen sich zunehmend die Hoffnungen für eine frühzeitige Entwicklung von Lerninteressen und eine nachhaltige Anregung eines Lernens in der Le-benswelt. Sie erweitern mit ihren Angeboten, den entstehenden hybriden Mischformen aus Unterhaltung, Konsum und Lernen, die Lernkultur der Wissensgesellschaft und stoßen beim Publikum auf zunehmendes Interesse. Chancen und Potentiale inszenierter erlebnis-orientierter Lernorte für die Wissensgesellschaft liegen sowohl in Abgrenzung als auch in Ergänzung zu den klassischen Institutionen des Bildungswesens vor allem in der Stärke und Verknüpfung des emotionalen Lernens mit kognitiven und aktionalen Aspekten des Lernens. Im Folgenden gilt es, die Entstehung und Entwicklung erlebnisorientierter Lernorte in der Wissensgesellschaft sowie die Möglichkeiten und Potentiale aufzuzeigen. Eine histo-rische und aktuelle Einordnung in die Entwicklung von Bildungsinstitutionen soll kurz skizziert und die Notwendigkeit neuer Lernorte in der Wissensgesellschaft nachgezeich-net werden. Ein besonderes Augenmerk wird auf die Anforderungen und Herausforderun-gen an die Gestaltung neuer zukunftsfähiger erlebnisorientierter Lernorte in der Freizeit gelegt. Bisherige Studien (Nahrstedt et al. 2002; Freericks et al. 2005a) zeigen, dass das Lernen in Erlebniswelten anderen Formen und Strukturen folgt als in schulischen Zusam-menhängen. Fragen sind u. a.: Warum braucht eine Wissensgesellschaft neue Lernorte? Werden die neuen erlebnisorientierten Lernorte diesen gesellschaftlichen Anforderungen gerecht? Wie gestalten sich die Lernformen und -strukturen? Ein kritischer Ausblick soll den Beitrag abschließen.

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Freericks, R. (2015). Erlebniswelten als inszenierte erlebnisorientierte Lernorte der Wissensgesellschaft. In Handbuch Freizeitsoziologie (pp. 671–698). Springer Fachmedien Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-01520-6_27

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