Denken in Worten

  • Wehling E
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" Die Autofahrer sind nicht die Melkkuh der Nation " . 1 Mit diesen Worten lehnte FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle im Mai 2012 unter Hinweis auf bereits beste-hende Besteuerungen alle Pläne für eine PKW-Maut in Deutschland ab. Die Idee vom Autofahrer als Melkkuh der Nation ist allgegenwärtig. Bei Google erschei-nen zu dem Begriff über 16.000 Einträge, unter ihnen Aussagen wie: " Deutsche Autofahrer sind seit Jahrzehnten die Steuer-Melkkuh der Nation " 2 und: " Autofah-rer gehören zu den größten Melkkühen der Nation. Die Steuern aus Benzin und Diesel sprudeln immer kräftiger " . 3 Und nicht nur Autofahrer werden als Melk-kuh begreifbar gemacht. Die österreichischen Sozialdemokraten treten mit dem Slogan: " Welche Kuh würden Sie melken? " für eine Reichensteuer an, durch die besonders fette Kühe gemolken, magere aber verschont bleiben sollen. 1. Wie man sich über Sprache ins gedankliche Aus schießen kann Das Bild, das hier über metaphorische Sprache geschaffen wird, ist alles andere als werteneutral. Es werden gedankliche Schlussfolgerungen aktiviert, die ein be-stimmtes Verständnis von Steuern propagieren: Der Staat als Bauer verfügt über die Bürger als Nutztiere. Kühe werden gemolken, bis die Euter leer sind. Milch kommt dem Bauern zugute, nicht aber den Kühen selbst. Steuern nützen also dem Staat, nicht dem Bürger. Kühe werden ohne ihre Zustimmung und im Zweifelsfal-le gegen ihren Willen gemolken. Der Wert einer Milchkuh hängt davon ab, wie viel Milch sie produziert, sprich: Der Bürger, der mehr Steuern beitragen kann, ist wertvoller für die Gemeinschaft als jener, der nur wenig " Steuer-Milch " pro-duziert. Und denkt man dieses sprachliche Bild einmal bis zum Ende, so landet man bei der Schlachtbank – so zum Beispiel Georg Nüßlein (CDU) im Sommer 2011, als er gegen die Brennstoffsteuer-Erhöhung argumentierte und ihren Be-fürwortern auf der Linken riet: " Sie müssen sich schon entscheiden, ob Sie die Kuh schlachten oder melken wollen " . 4

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Wehling, E. (2013). Denken in Worten. In Zwischen Macht und Ohnmacht (pp. 311–319). Springer Fachmedien Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-18951-2_37

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