Geschlechtersoziologie

  • Meuser M
N/ACitations
Citations of this article
8Readers
Mendeley users who have this article in their library.
Get full text

Abstract

Die Ordnung unserer Gesellschaft gründet in einer fundamentalen Weise auf der Unter-scheidung von Männern und Frauen. Die Differenz der Geschlechter begegnet uns im All-tag in unterschiedlicher Weise und in den verschiedensten sozialen Feldern. Wenn wir in die Chefetage eines Unternehmens kommen, so werden wir in der Regel von einer Frau emp-fangen, der Sekretärin, und anschließend in das Büro eines Mannes, des Chefs, geführt. Die Erziehung der Kinder obliegt trotz eines erheblichen Wandels von Familienstrukturen im-mer noch überwiegend den Frauen; nur eine sehr geringe Zahl von Männern reduziert das berufliche Engagement zugunsten von Familienarbeit. In den Grundschulen sind 86 Prozent des Lehrpersonals weiblichen Geschlechts, an den Universitäten sind 87 Prozent der Pro-fessuren mit Männern besetzt. In den Hauptschulen beträgt der Anteil der Jungen 57 Pro-zent, während die Mädchen in den Gymnasien mit 54 Prozent in der Mehrzahl sind. Geschlecht ist offensichtlich ein gesellschaftliches Ordnungsmerkmal. An die Ge-schlechtszugehörigkeit knüpfen sich Teilhabechancen, die bislang in den meisten sozialen Feldern für die Männer günstiger ausfallen als für die Frauen. Und selbst dort, wo sich dies im Verlauf der letzten Jahrzehnte zu ändern begonnen hat, wie zum Beispiel im Bereich der schulischen Bildung, muss man konstatieren, dass die Frauen ihre Bildungserfolge bislang nicht in entsprechende berufliche Erfolge haben umsetzen können. Geschlecht ist eine Ka-tegorie sozialer Ungleichheit. Geschlecht ist ein zentrales soziales Ordnungsmerkmal in einer weiteren Hinsicht. In nahezu jeder Alltagssituation orientieren wir unser Handeln auch daran, ob wir es mit einer Frau oder einem Mann zu tun haben. Wir verwenden unterschiedliche Redeweisen, Männer praktizieren gegenüber einer Frau bestimmte Zuvorkommenheitsrituale, zu denen sie sich einem anderen Mann gegenüber nicht verpflichtet fühlen. Unsere Blicke auf die andere Person unterscheiden sich, je nachdem welchem Geschlecht wir diese Person zuordnen. Wie zentral für unsere alltägliche Orientierung die Zuordnung der Anderen zu einem der beiden Geschlechter ist, wird uns in der Regel nicht bewusst – außer in den seltenen und zumeist peinlichen Situationen, in denen wir eine falsche Zuordnung vorgenommen haben. Die Beispiele machen deutlich, dass der soziologische Blick auf Geschlecht eine mak-ro-und eine mikrosoziologische Perspektive anlegen muss. In den theoretischen Entwürfen der Geschlechtersoziologie finden sich beide Perspektiven. Eine zentrale Frage ist, wie makrosoziale Strukturen geschlechtlicher Ungleichheit sich in alltäglichen sozialen Interak-tionen geltend machen und wie sie in diesen (re-)produziert werden. Mit dieser Fragestel-lung wird ersichtlich, dass Geschlecht mehr ist als der Gegenstand einer speziellen Sozio-logie. Geschlecht ist eine Kategorie der allgemeinen Soziologie. In (nahezu) jeder speziel-len Soziologie erweist sich ihre Relevanz – z.B. darin, dass die Sportsoziologie die männli-che Konnotation des Leistungssports betont, dass die Soziologie der Erziehung eine ‚Femi-146 Michael Meuser nisierung' des Lehrberufs konstatiert oder dass die Professionssoziologie die Genese einer in Frauenberufe und Männerberufe untergliederten Berufswelt untersucht. Die soziologische Aufmerksamkeit für Geschlecht als eine zentrale soziale Strukturka-tegorie ist alles andere als selbstverständlich. Erst in den 1980er Jahren hat die soziologi-sche Ungleichheitsforschung Geschlecht als eine ‚neue' Dimension sozialer Ungleichheit ‚entdeckt' (Hradil 1987). Im Folgenden wird zunächst die Entwicklung der Geschlechter-forschung in der Soziologie rekapituliert. Anschließend werden zentrale theoretische Ansät-ze sowohl makro-als auch mikrosoziologischer Provenienz dargestellt. Sodann werden die wichtigsten Forschungsgebiete vorgestellt. Den Schluss bilden einige Bemerkungen zum Stellenwert der Geschlechtersoziologie in der gegenwärtigen Soziologie. Frauenforschung, Männerforschung, Geschlechterforschung – Zu Genese und Entwicklung der Geschlechtersoziologie

Cite

CITATION STYLE

APA

Meuser, M. (2010). Geschlechtersoziologie. In Handbuch Spezielle Soziologien (pp. 145–162). VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-92027-6_8

Register to see more suggestions

Mendeley helps you to discover research relevant for your work.

Already have an account?

Save time finding and organizing research with Mendeley

Sign up for free