Normales kognitives Altern

  • Mayr U
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72.1 Was ist kognitives Altern? – 778 72.2 Gibt es einen »Generalfaktor« des kognitiven Alterns? – 779 72.3 Jenseits des »Generalfaktormodells« – 780 72.3.1 Was ist die neurobiologische Grundlage der allgemeinen Verlangsamung? – 781 72.3.2 Arbeitsgedächtnis und exekutive Kontrolle – 783 72.3.3 Gedächtnisprobleme im Alter – 785 72.3.4 Relativ »alterungsresistente« Funktionsbereiche – 786 72.3.5 Warum »altern« manche Gehirnregionen mehr als andere? – 787 Hans-Otto Karnath, P. Thier (Hrsg.), Kognitive Neurowissenschaften, DOI 10.1007/978-3-642-25527-4_72, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012 778 Kapitel 72 · Normales kognitives Altern 72)) D ie einfache Frage nach Veränderungen der geistigen Leistungsfähigkeit mit dem chronologischen Alter ist aus methodischer Sicht äußerst komplex und hat über die letz-ten Jahrzehnte eine Reihe hitziger Debatten, aber auch die Entwicklung wichtiger Forschungsstrategien ausgelöst (z. B. Baltes et al. 1977). Alter ist kein frei variierbarer Faktor des Untersuchungsdesigns, sondern eine quasiexperimentelle Variable, mit der wichtige Faktoren in schwer zu kontrollie-render Weise kovariieren (. Tab. 72.1). Trotz der methodischen Problematik, lässt sich jedoch inzwischen mit großer Sicherheit feststellen, dass wichtige Aspekte unserer intellektuellen Leistungsfähigkeit einen kontinuierlichen Abbau über unser ganzes Erwachsenen-alter hinweg erleben. Zumindest in querschnittlichen Analy-sen zeigt sich, dass kognitiver Abbau im 3. Lebensjahrzehnt beginnt und sich, möglicherweise leicht beschleunigt, bis ins hohe Alter kontinuierlich fortsetzt. Leistungsunter-schiede zwischen jungen Erwachsenen und 60-bis 70-Jähri-gen können dabei in bestimmten Bereichen die Größenord-nung von 1–1,5 Standardabweichungen erreichen. Wie im nächsten Abschnitt besprochen, ist dieses negative Alterns-szenario allerdings nur eine Hälfte der Geschichte. 72.1 Was ist kognitives Altern? Sowohl das Alltagsverständnis als auch theoretische Überlegungen (Baltes 1987) legen eine Unterscheidung zwischen zumindest zwei breiten Leistungsbereichen nahe, die mit zwei gegensätzlichen »Alternsprozessen« korres-pondieren. Leistungsbereiche, die vor allem auf »basalen« kognitiven Operationen beruhen, sollten in relativ direkter Weise den negativen Effekt biologischen Alterns auf das zentrale Nervensystem widerspiegeln. Dies betrifft vor allem Leistungen, die weitgehend unabhängig von Vor-wissen, Geschwindigkeit und Genauigkeit kognitive Pro-zesse widerspiegeln und die von Horn u. Cattell (1967) als »fluide« Intelligenz bezeichnet wurden (z. B. psychomet-rische Aufgaben zur Wahrnehmungsgeschwindigkeit oder zum schlussfolgernden Denken). Ein zweiter »Alterungsprozess«, der biologischem Ab-bau entgegenwirken sollte, ist die lebenslange Akkumula-tion von Wissen und Erfahrung (»kristalline« Intelligenz nach Horn u. Cattell 1967). In der Tat zeigt sich, dass man vor allem in Tests, die verbalisierbares Wissen erheben, oftmals einen Zuwachs bis ins hohe Erwachsenenalter findet und erst in sehr hohem Alter einen moderaten Abbau. Aber nicht nur die Produkte früherer Lernerfahrungen, auch relativ komplexe und geschwindigkeitsabhängige Operationen profitieren von lebenslanger Erfahrung. So zeigten z. B. Krampe u. Ericsson (1996), dass professionelle Pianisten auch im höheren Alter in komplexeren, bimanu-ellen Koordinationsaufgaben mit jungen Pianisten mithalten konnten. Auch die neuroanatomischen Grundlagen mas-siver bereichsspezifischer Erfahrung lassen sich z. B. in Form einer Vergrößerung des handmotorischen Areals im Motorkortex nachweisen (Elbert et al. 1995c). Eine bislang noch offene Frage ist, inwiefern neuroanatomische Plastizi-tät als Folge von Übung und Erfahrung auch im Erwachse-nenalter nachgewiesen werden kann und inwiefern das Aus-maß dieser neuroanatomischen Plastizität selbst sich mit dem Alter verändert. Auf der psychologischen Ebene ist bei sehr alten Menschen die kognitive Plastizität, also das Aus-maß in dem Menschen in einem bestimmten Bereich ihre Leistungsfähigkeit erhöhen können, zwar eingeschränkt, aber durchaus noch nachweisbar (Singer et al. 2003). Eine besonders wichtige Frage ist schließlich, ob es eine Art unspezifische Plastizität des kognitiven Systems gibt, also inwiefern Menschen durch ihre Lebensführung geis-tiges Altern positiv beeinflussen können. Aus tierexperi-mentellen Arbeiten ist immerhin bekannt, dass extreme

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Mayr, U. (2012). Normales kognitives Altern (pp. 777–788). https://doi.org/10.1007/978-3-642-25527-4_72

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