Von 1968 bis 1998 fanden bei den Olympischen Spielen systematische Labor-tests statt, die das Ziel hatten, das Geschlecht aller Teilnehmerinnen von Frauenwettbewerben als eindeutig weiblich zu bestimmen, wenngleich nach dem damaligen und heutigen Stand der Forschung eine eindeutige Zuwei-sung zu einem biologischen Geschlecht nicht bei allen Individuen erreichbar ist. Das Internationale Olympische Kommitee (IOC) - so die These des vor-liegenden Beitrags - antwortete mit Geschlechtertests auf einer rein bio-logistischen Ebene (sex) auf eine Herausforderung im Bereich des sozial konstruierten Geschlechts (gender), die durch die Systemkonfrontation des Kalten Krieges an Brisanz gewonnen hatte: siegreiche Spitzensportlerinnen aus sozialistischen Ländern. Sie überschritten zwei Grenzen zugleich. Erstens drangen sie als Frauen in die kulturell männlich codierte Sphäre des Leis-tungssports ein und stellten auf diese Weise die traditionelle Geschlechter-ordnung in Frage. Zweitens bedrohte der Sieg einer Repräsentantin des Ost-blocks im Kontext des Kalten Krieges das Selbstwertgefühl der westlich-kapitalistischen Welt. Medizinische und technische Entwicklungen spielten als drittes Element eine Rolle für den Einsatz der Geschlechtertests, wie ge-stützt auf amerikanische und deutschsprachige Presseberichte sowie zeitge-nössische medizinische Fachliteratur gezeigt wird. Mit dem so genannten Barr-Body-Test wurde eine vermeintlich ,,wissenschaftlich unfehlbare" und kostengünstige Methode zur Feststellung des biologischen Geschlechts mit einer Begeisterung gefeiert, der differenziertere Betrachtungsweisen der Sport-mediziner sowie erkenntnistheoretische und ethisch begründete philosophi-sche Bedenken nichts mehr anhaben konnten. Verf.-Referat
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Wiederkehr, S. (2008). „Mit zweifelsfreier Sicherheit ... keine Frau“. Geschlechtertests im Spitzensport zwischen medizinischer Expertise und Technikeuphorie der Funktionäre. Technikgeschichte, 75(3), 253–270. https://doi.org/10.5771/0040-117x-2008-3-253
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