Diagnostische Klassifikation psychischer Störungen

  • Wittchen H
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H.-U. Wittchen 2.1 Abnorm oder normal – Krank oder gesund? – 28 2.1.1 Definition von Gesundheit und Krankheit – 29 2.1.2 Krankheit als hypothetisches Konstrukt – 30 2.1.3 Manifestationsebenen und Definition psychischer Störungen – 32 2.2 Warum brauchen wir eigentlich eine Klassifikation psychischer Störungen? – 33 2.2.1 Begriffe und Konzepte – 33 2.2.2 Ziele diagnostischer Klassifikationssysteme – 34 2.3 Einteilungsgesichtspunkte für Klassifikationssysteme – 35 2.3.1 Mögliche Ansatzpunkte – 35 2.3.2 Idealtypische und deskriptive Klassifikationssysteme – 37 2.3.3 Der Wendepunkt: Die Einführung des US-amerikanischen DSM-III – 39 2.4 Die Internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD) in ihrer 10. Revision – 40 2.5 Die DSM-IV-TR-Klassifikation – 42 2.5.1 Das multiaxiale System des DSM-IV – 44 2.5.2 Diagnostische Gesamtbeurteilung – 51 2.5.3 Weitere Besonderheiten des DSM-IV-Systems – 51 2.6 Die Definition psychischer Störungen nach 2012? – 53 Literatur – 54 n H.-U. Wittchen, Jürgen Hoyer et al, Klinische Psychologie & Psychotherapie, DOI 10.1007/978-3-642-13018-2_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011 Kapitel 2 · Diagnostische Klassifikation psychischer Störungen 2 28 2.1 Abnorm oder normal – Krank oder gesund? Wohl jedem ist aus dem Alltag geläufig, dass wir Auffällig-keiten im Verhalten und Erleben von uns selbst oder ande-ren mit Begriffen belegen, die scheinbar den klinisch-psy-chologischen und psychiatrischen Terminologien nahe stehen: »Der spinnt ja; der ist verrückt; der hat eine Macke; die ist neurotisch; der hat eine Depression; die hat Prüfungs-angst; der ist paranoid« und so fort (. Abb. 2.1). Dies sind offensichtlich weder trennscharf noch wissenschaftlich begründete Terminologien, sondern mehr oder minder schmeichelhafte oder verletzende umgangssprachliche Eti-ketten. Derartige Aussagen berühren aber durchaus ein Kern-thema der Klinischen Psychologie, nämlich die Frage nach einer Grenzziehung zwischen »normalem« und »abnor-mem« Verhalten bzw. »gesund versus krank« oder »klinisch bedeutsam versus nicht bedeutsam«. In diesem Ka pitel wird untersucht, welche Perspektiven sich bei einer wissenschaft-lich begründeten Klassifikation von psychischen und Ver-haltensstörungen finden lassen, welche Terminologien im Hinblick auf die Grundlagen und die Anwendungen in unse-rem Fach geeignet sind und wie sich im engeren Sinne psy-chische Störungen nach dem derzeitigen Erkenntnisstand einordnen, definieren und klassifizieren lassen. In der Psychologie und in den Sozialwissenschaften sind wir es gewohnt, psychische und Verhaltensphänomene dimensional zu beschreiben. Wir beschreiben Menschen z. B. auf der Grundlage psychometrisch entwickelter Skalen auf einem Kontinuum von Merkmalsausprägungen oder Testscores. Dies ermöglicht uns dann über die Analyse der Werteverteilung auch über Zusatzannahmen kategoriale Entscheidungen zu definieren: Danach ist »abnorm« was z. B. selten ist. Für den klinischen Kontext ist diese Vor-gehensweise aus verschiedenen Gründen oft nur begrenzt hilfreich und praktisch. Hier wünschen wir uns zunächst möglichst eindeutige kategoriale Entscheidungen darüber, ob es sich um einen »Fall mit einer psychischen Störung« bzw. einer bestimmten psychischen Störung handelt oder nicht. Denn wir wollen im klinischen Kontext möglichst unmittelbar auch interventionsbezogene Entscheidungen ableiten. Da aber Festlegungen von Diagnosen in der Regel zugleich mehrere Entscheidungsaspekte beinhalten, wobei neben den aktuellen Beschwerden (Symptomen) auch z. B. ihr Beginn, ihre Persistenz, ihr Verlauf sowie weitere beein-flussende Faktoren eine wichtige Rolle spielen, besteht zwi-schen dimensionalen Skalen und klinischen kategorialen diagnostischen Entscheidungen oft nur eine begrenzte Konvergenz. In . Abb. 2.2 ist das beispielsweise daran ersichtlich, dass ein nicht unwesentlicher Anteil von Personen mit hohen Depressivitätswerten im Test keine Diagnose »De-pression« erhält (also hätten wir hier einen Test mit vielen falsch positiven Diagnosen), während umgekehrt klinische Diagnosen auch bei Personen mit niedrigeren Depressivi-tätswerten im Test vorkommen (also im Test falsch negative Diagnosen). Dieses nicht befriedigende Ergebnis hinsicht-lich der Fehlklassifikationen liegt darin begründet, dass die Depressivitätsskala nur die Dimension der aktuellen depres-siven Beschwerden abbildet, während die kategoriale kli-nische Diagnose darüber hinaus mehrere weitere Aspekte berücksichtigt, nämlich z. B. die Dauer (mindestens 2 Wo-chen), Beeinträchtigungen (Unfähigkeit, z. B. den sozialen Rollenaufgaben nachzugehen) und Ausschlusskriterien (z. B. dass die depressive Symptomatik nicht auf eine zeit-gleich eingenommene Medikation zurückzuführen ist, die diese Symptome verursacht hat). . Abb. 2.1. Psychische Störungen

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Wittchen, H.-U. (2011). Diagnostische Klassifikation psychischer Störungen (pp. 27–55). https://doi.org/10.1007/978-3-642-13018-2_2

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