Die Lehre vom Politik-Erbe macht sich eine grundlegende Einsicht der Geschichtswissenschaft zu eigen: Die Bestände der Gegenwart sind weitgehend Produkt von Vergangenem, und die hier und heute Handelnden machen ihre Geschichte nicht unter selbst gewählten, sondern größtenteils unter vorgefundenen Bedingungen. Politik zum Zeitpunkt t ist demnach vor allem von Politik zum Zeitpunkt t-1 geprägt, die Wirtschaftspolitik hier und heute ist weitgehend von der wirtschaftspolitischen Lage und den wirtschaftspolitischen Weichenstellungen in der Vergangenheit beeinflusst. Die Politik-Erblast-Theorie deutet Staatstätigkeit vor allem als Produkt von geplanten oder ungeplanten Folgen früher getroffener politischer Entscheidungen. Und sie wertet Problemlösungsroutinen staatlicher Politik als Ergebnis eines historisch angelegten Problemlösungspfades, als Resultat von „Pfadabhängigkeit``. Das Politikerbe begrenzt aus der Sicht der Erblast-Theorie den Handlungsspielraum der Regierungspolitik. Dieser Blickwinkel auf das politische Geschehen ist genuin geschichtswissenschaftlich, ähnelt in manchem aber auch den historisch orientierten Varianten der politisch-institutionalistischen Theorien („historical institutionalism``), betrachten doch diese Institutionen als verfestigtes Politikerbe früherer Entscheidungen. So lassen sich die unterschiedlichen Wohlfahrtsstaatstypen nach Esping-Andersen als Teil eines Politikerbes auffassen, das die Staatstätigkeit entscheidend prägt.
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Ostheim, T., & Schmidt, M. G. (2008). Die Lehre vom Politik-Erbe. In Der Wohlfahrtsstaat (pp. 85–95). VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90708-6_7
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