Forensische Psychiatrie lebt von der unmittelbaren Begegnung mit besonderen Menschen, die bestimmten sozialen Erwartungen und Erfordernissen nicht (mehr) genügen: die nicht mehr arbeiten können, keine wirksamen Verträge schließen können oder eine rechtswidrige Tat begangen haben. Forensische Psychiatrie findet statt als intensive persönliche Untersuchung und Begutachtung, sie findet statt als Behandlung dieser Menschen in Kliniken und Ambulanzen und schließlich auch als theoretische und klinische Forschung. Als wissenschaftliche Disziplin befasst sie sich mit der Sichtung, Auswertung und Darstellung der Erfahrung aus dieser psychiatrischen Begutachtungs- und Forschungstätigkeit, die sich in den letzten Jahrhunderten entwickelt und zu einem großen Bestand an empirischemWissen geführt hat. Dies geschieht im Abgleich mit den Erfahrungen und Erkenntnissen der allgemeinen Psychiatrie und der Kinder- und Jugendpsychiatrie, aber auch der kriminologischen Forschung. Wichtige Kenntnisse und Konzepte waren aus der Entwicklungspsychologie, der Rechtspsychologie, der Persönlichkeitsund Sozialpsychologie und weiteren Bereichen der Psychologie zu gewinnen, großen Einfluss haben die empirische Sozialforschung und weitere Gegenstandsgebiete der der Soziologie. Das jeweils geltende Öffentliche, Zivilund Strafrecht hat die notwendigen Rahmenbedingungen und Fragestellungen geliefert. Forensische Psychiatrie ist in besonderer Weise auf Interdisziplinarität angelegt und steht im regen Gedankenaustausch mit Juristen, Kriminologen und Kriminalisten, Psychologen, Sozialwissenschaftlern, aber auch Rechtsmedizinern, Neurologen und Neurobiologen.
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Kröber, H.-L. (2010). Praxis der psychiatrischen und psychologischen Begutachtung. In Handbuch der Forensischen Psychiatrie (pp. 157–212). Steinkopff. https://doi.org/10.1007/978-3-7985-1745-5_2
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