Lust- und Schmerzmaschinen

  • Nordmann A
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In den Wörterbüchern und Enzyklopädien der Tech-nik und der Philosophie tauchen Lust-und Schmerz-maschinen nicht als stehende Begriffe auf. Sie eignen sich daher nicht für eine bloße Explikation, vielmehr geht es um eine Erkundung dessen, wie solche Ma-schinen sein und was sie bedeuten könnten. Und diese Erkundung wiederum kann auf banale Maschinen führen, die in klassischen Mittel-Zweck-Schemata verfangen sind. Sie kann aber auch auf philosophisch verstörende, vielleicht erhellende Maschinen führen, wenn wir die Suche weitertreiben als dem gesunden Menschenverstand gemäß. Ein erster Anlauf geht von der klassischen Philoso-phie und bekannten Mittel-Zweck-Beziehungen aus. Dem Sensualismus zufolge dienen Lust und Unlust, pleasure and pain, als Maßstab, nach dem Menschen ih-re Welt bewerten. Vor diesem Hintergrund wären Lust-und Schmerzmaschinen zunächst einmal Maschinen, die Gefühle der Lust und der Unlust oder des Schmer-zes hervorrufen oder bereiten. Wir finden sie daher auch keineswegs nur an der vordersten Front einer Technikentwicklung, sondern in archaischen Mensch-Maschine-Interaktionen, denen es um Grundbedürf-nisse und Grundverhältnisse des Menschen geht. So entstammen klassische Lustmaschinen dem Schlaraffenland und anderweitig paradiesischen Ge-filden, stereotyp bereiten sie sexuelle Lust wie die von Tomi Ungerer in Fornicon elaborierten Penetrations-maschinen, die immer noch fantastisch anmuten, ob-gleich sie inzwischen wie selbstverständlich im Han-del erhältlich sind (vgl. Ungerer 1971). Dass derartige Maschinen womöglich nicht authentisch Lust berei-ten, sondern nur die Arbeit der Nervenentspannung betreiben, zu der Männer keine Zeit, keine Lust oder keine Kraft haben, hat Rachel Maines in ihrer anre-genden Geschichte des Vibrators dargelegt-und in dem darauf folgenden Buch das Stricken und Häkeln, das Grillen und Bügeln als ›hedonisierende‹ Techno-logien gewürdigt (vgl. Maines 2001, 2009). Lust kann auch das Design einer Mausefalle bereiten, die listig den raschen Tod des ahnungslosen Opfers herbei-führt, Unlust hingegen eine Mausefalle, die einfallslos und krude bloß aus einem Leimkuchen besteht, auf dem Mäuse kleben bleiben und kläglich verenden. Klassische Schmerzmaschinen wären von den Lustmaschinen nun so unterschieden, wie sich Lust und Unlust eben unterscheiden lassen. Stereotyp han-delt es sich um Folterwerkzeuge, für die die Mensch-heit seit jeher eine reiche Fantasie entfaltet hat. In Hin-sicht auf ihre unerbittliche Moralität haben sie in Kaf-kas Strafkolonie exemplarisch Ausdruck gefunden, wenn nämlich die Schuld des Verurteilten seinem Leib buchstäblich eingeschrieben wird dank eines ei-gentümlichen, aus Bett, Egge und Zeichner bestehen-den Apparats (vgl. Kafka 1995). Die Peitsche als Instrument der Bestrafung, der Selbstgeißelung, der re-ligiösen und sexuellen Ekstase deckt auf, dass Lust und Unlust an der Technik auf das asketische Moment der Disziplinierung und Beherrschung von Mitteln zu Zwecken bezogen sind (vgl. Largier 2001). Körper-lichen und psychischen Schmerz bereiten schließlich gewöhnliche Arbeitsmaschinen, die bedient werden wollen, Anpassung verlangen, Bewegungsabläufe de-formieren, Menschen einander und im Selbstverhält-nis entfremden (vgl. Strauß 1986). In der Unterschei-dung klassischer Lust-und Schmerzmaschinen ent-steht daher, was als Sozialmaschine bezeichnet wer-den könnte-also die Idee einer Maschine, in der es mit rechten Dingen zugeht, in der das Zusammenspiel von Menschen und Dingen gelingt, und die als uto-pisches Modell einer sachlich abgestimmten, dem Menschen gemäßen technischen Weltordnung gelten kann (vgl. Nordmann 2014a). So viel zur Bestimmung diverser Maschinentypen an der immer schon gegebenen Schnittstelle von Mensch und Maschine und angesichts der Vielfalt von Mensch-Maschine-Wechselwirkungen. Es mag unge-wöhnlich sein, Maschinen danach einzuteilen, ob und wie sie Lust oder Schmerz bereiten, ansonsten sind die bisher diskutierten Beispiele ganz gewöhnlich, wenn nicht banal; insofern Lustmaschinen Lust bereiten und Schmerzmaschinen augenscheinlich Mittel zum Zweck der Schmerzerzeugung sind. Ein zweiter Anlauf müsste daher deutlicher heraus-arbeiten, ob und wie Lust-und Schmerzmaschinen Aufschluss geben über das Selbstverhältnis des Men-schen im Verhältnis zur Technik. Hier verschränken sich affektive und geistige Bezüge, magisch-teilneh-mende und theoretisch-analysierende Denkfiguren, Momente der Entzauberung und Wiederverzaube-rung. Dies lässt sich aufweisen in Hinsicht auf das ge-lingende Zusammenspiel von Mensch und Maschine und somit auf eine aus der Ingenieurpraxis hervor-gehende Reflexion auf Prothesen, ergonomische Be-wegungsabläufe, Expertensysteme, Robotik und auf die derzeit viel beschworene Industrie 4.0 (s. Kap. III.45). Besonders deutlich tritt diese Verschränkung aber dann zutage, wenn sich Menschen angesichts der Maschine in Frage stellen-dann also, wenn sie etwas über sich selbst in Erfahrung bringen wollen, indem II Mensch-Maschine-Interaktionen: Paradigmen, Wandel, Brüche-G J. B. Metzler

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Nordmann, A. (2019). Lust- und Schmerzmaschinen. In Mensch-Maschine-Interaktion (pp. 172–176). J.B. Metzler. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05604-7_23

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