Arbeit, Beruf und Arbeitskraft: Wie verändert sich ihre Bedeutung im 21. Jahrhundert?

  • Voß G
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Im Rahmen eines Handbuchs kann ein Beitrag zum Wandel von Arbeit (s. Kap. II.2) im 21. Jahrhundert keine umfassende Analyse bereitstellen-handelt es sich doch um einen vieldimensionalen und fun-damentalen Prozess (vgl. Minssen 2012; Böhle/Voß/ Wachtler 2018). Es sollen deshalb hier Veränderungen gesellschaftlicher Arbeit herausgehoben werden, die sich auf Themen bzw. Begriffe beziehen lassen, die bei Max Weber in markanter Weise den Gegenstand ›Ar-beit‹ thematisieren und dazu geeignet sind, grund-sätzliche Aspekte des Wandels zu beleuchten. Arbeit: Das Ende der ›Normalitäten‹ des 20. Jahrhunderts Weber erläutert nicht explizit, was er unter ›Arbeit‹ versteht. Zu seiner Zeit und aus seiner Perspektive war vermutlich klar, was damit gemeint war und eine Fra-ge nach dem verwendeten Arbeitsverständnis war kein relevantes Thema. Dies hat sich spätestens mit dem Übergang zum 21. Jahrhundert grundsätzlich verändert, wobei sich zwei Problemebenen hervor-heben lassen: Zunächst geht es erst einmal darum zu klären, wel-che konkreten Arbeitsformen und Arbeitsverhältnisse Weber vor Augen hatte. Beim Blättern durch die Psy-chophysik der industriellen Arbeit oder die Methodolo-gische Einleitung für die Erhebungen des Vereins für So-zialpolitik über Auslese und Anpassung (GASS, 1-60) wird deutlich, dass von Tätigkeitsformen, Betriebswei-sen, Beschäftigungsverhältnissen und nicht zuletzt von Arbeitskräftekategorien ausgegangen wird, die sich seitdem grundlegend verändert haben. Zwar gibt es z. B. durchaus nach wie vor eine Art ›Arbeiterschaft‹, aber deren Tätigkeits-und Lebensverhältnisse unterla-gen seit Webers Zeiten einem umfassenden Struktur-wandel. Hintergrund dafür waren nicht nur verschie-dene Schübe technologischer Innovationen und die Veränderung wirtschaftlicher Grundstrukturen (von primär national geprägten traditionell industriellen Verhältnissen zu einer globalisierten Dienstleistungs-ökonomie und neoindustriellen Branchenstruktur), sondern auch ein Strukturwandel der sozialpoliti-schen Rahmenbedingungen und der betrieblichen Or-ganisationsformen von Arbeit. Auch wenn man ein-bezieht, dass Weber nicht nur industrielle Verhältnisse im Fokus hatte, sondern die Arbeits-und Lebens-bedingungen der Landbevölkerung ebenfalls gut kannte (MWG I/3), und ihm mit seinem Blick auf Bü-rokratien (s. Kap. II.6) die Lage der ›privaten‹ und staatlichen ›Beamten‹ vertraut war, gilt Ähnliches: Tra-ditionelle Landarbeit ist heute fast verschwunden, und die Arbeit eines modernen Dienstleistungspersonals oder von Berufstätigen in administrativen Funktionen hat nur noch wenig mit dem zu tun, was zu Webers Zeiten Realität war. Jenseits einer Vielzahl einzelner Veränderungen lässt sich der Kern des Strukturwandels von Arbeit der letzten Jahrzehnte mit dem plakativen Begriff »Ende des Normalarbeitsverhältnisses« beschreiben (vgl. zu-erst Mückenberger 1985). Obwohl Weber schon eine fortgeschrittene Stufe des industriellen Kapitalismus erlebte, hatte er noch vorwiegend Verhältnisse vor Au-gen, die erst auf dem Weg in arbeits-und sozialpoli-tisch regulierte und dadurch sozusagen ›zivilisierte‹ moderne Arbeits-und Lebensbedingungen für die Masse der Erwerbstätigen waren. Erst nach seiner Zeit entstand mit einem »fordistischen« Modus der »Regu-lation« von Arbeit und Gesellschaft (vgl. z. B. Hirsch 1986) eine Phase struktureller Begrenzung der bis da-hin mit Arbeit verbundenen wichtigsten Risiken (durch systematische Qualifizierung, regulierte und reduzierte Arbeitszeiten, existenzsichernde stabile Einkommen, gesundheitlichen Arbeitsschutz, betrieb-liche und überbetriebliche Interessenvertretung, all-gemeiner sozialpolitischer Schutz usw.). Diese im Nachhinein gesehen historisch kurze Periode einer re-gulierten ›Normalität‹ von Arbeit stieß im letzten Drit-tel des 20. Jahrhundert an vielfältige Grenzen und be-findet sich seit dem im Übergang zu ›postfordisti-schen‹ Verhältnissen. Die bisherigen Strukturen von Arbeitstätigkeiten und Beschäftigungsverhältnissen werden dabei in allen Dimensionen (zeitlich, räum-lich, sachlich, sozial, technisch usw.) systematisch »entgrenzt« (vgl. Kratzer 2003; Voß 1998; Voß 2019). Flexible und wieder längere Arbeitszeiten, entbürokra-tisierte Betriebsformen (Hierarchieabbau, Team-und Projektarbeit usw.), neuartige Formen prekärer Be-schäftigung (Befristungen, Minijobs, Leiharbeit usw.), zunehmend gebrochene Erwerbsbiographien, nicht existenzsichernde Einkommen, Verlagerung von Tä-tigkeiten in die Privatsphäre (mit einer Gefährdung von ›Freizeit‹ und Erholung), Reduzierung des sozial-politischen Schutzes u. a. m. bestimmen seitdem für viele Menschen das Erwerbsleben. Die Ähnlichkeit mit früh-oder sogar vorindustriellen Arbeits-und Le-IV Diskussion J. B. Metzler © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature, 2020 H. P. Müller/S. Sigmund, Max Weber-Handbuch, https://doi.

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Voß, G. G. (2020). Arbeit, Beruf und Arbeitskraft: Wie verändert sich ihre Bedeutung im 21. Jahrhundert? In Max Weber-Handbuch (pp. 462–467). J.B. Metzler. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05142-4_90

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