Analyse verbaler Daten

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Abstract

Quantitative Verfahren haben, vereinfacht gesprochen, ihren Namen daher, daß sie mit Häufigkeiten argumentieren. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um qualitative, also in der Sprache der Statistik "nominal skalierte" Da-ten handelt oder um solche, die auf einem höheren Skalenniveau Unter-schiede in einer Dimension abbilden können. Entscheidend für den quantita-tiven Ansatz ist seine statistische Argumentation: Sind in einem Beziehungs-arrangement Fälle einer Kategorie überproportional vertreten, so wird dies als Argument für einen Zusammenhang angesehen. Neurath (1974: 8 ff) verdeutlicht das statistische Argument an einem Experiment von Strodtbeck (1957): Die Mitglieder verschiedener Jurys für Schwurgerichtsverfahren soll-ten ihre Vorsitzende wählen. Es zeigte sich, daß viele der gewählten Vorsit-zenden aus höheren Schichten stammten. Aber: "Wieviel ist viel"? Anhänger quantitativer Ansätze wollen diese klassische Frage exakt überprüfen und benutzen dazu die Statistik als Hilfsmittel. Das statistische Argument besteht nun in folgendem: Erstens kann (durch Berechnung und Vergleich von relati-ven Häufigkeiten) gezeigt werden, daß der Anteil der Vertreter höherer Schichten an den Vorsitzenden tatsächlich größer war, als ihr Anteil an der Gesamtheit der Jurymitglieder, daß sie-mit anderen Worten-im Vorsitz überproportional vertreten waren. Zweitens kann (durch Wahrscheinlich-keitsschlüsse) gezeigt werden, daß diese Überrepräsentierung ein solches Ausmaß hat, daß es statistisch sehr unwahrscheinlich ist (und wie unwahr-scheinlich kann auch exakt angegeben werden), daß diese Überrepräsentie-rung allein ein Produkt des Zufalls ist. Wenn dieses Ergebnis jedoch nicht zu-fällig ist, d. h., wenn es einen statistisch nachgewiesenen Zusammenhang zwischen den beiden Variablen gibt, dann erscheint es plausibel anzuneh-men, daß die Variable Schichtzugehörigkeit einen Einfluß hat auf die zweite Variable: Wahlchancen. Eine entsprechende soziologische Hypothese über den Zusammenhang von Schichtzugehörigkeit und Durchsetzungschancen bei der Besetzung von Führungspositionen kann als (vorläufig) bestätigt an-gesehen werden. Für einen Anhänger qualitativer Verfahren ist mit einem solchen Nachweis aber noch nicht viel gewonnen, außer, daß ein interessantes erklärungsbe-dürftiges Phänomen aufgezeigt wurde. Die Frage, ob es letztlich die Schicht-zugehörigkeit ist, die zur Überrepräsentierung der Angehörigen höherer Schichten unter den Vorsitzenden führt, läßt sich erst nachweisen, wenn man versteht, wie diese Wahl zustande kommt. Die Theorie über das Han-deln von Geschworenen hat durch die Information, daß eine schichtspezifi-sche überproportionale Verteilung vorliegt, noch nicht sehr an Substanz ge-wonnen, denn es bleibt unklar, wie die Schichtzugehörigkeit im Binnenleben einer Jury zum Tragen kommt. Möglicherweise werden in einer Jury Personen als Vorsitzende "ausgeguckt", die den Eindruck vermitteln, über die für den Vorsitz nötigen Kompetenzen zu verfügen, etwa Kenntnisse im Umgang mit einer Tagesordnung, Erfahrungen in der Verhand-lungsführung in Arbeitsgruppen u.a.m. So kann es kommen, daß Angehörige höherer Schichten deshalb als Vorsitzende berufen werden, weil sie aufgrund ihrer beruflichen Vorerfahrungen dafür geeignet erscheinen. Nun können aber auch beispielsweise Betriebsräte oder Parteimitglieder, die Angehörige der unteren oder der Mittelschicht sind, ebenfalls über die genannten Kompeten-zen verfügen, und es kann sein, daß sie relativ ebenso häufig zu Vorsitzenden gewählt werden. Daß eine "dritte Variable" (hier etwa: Vorerfahrungen mit vergleichbaren Tätigkeiten) die entscheidende Variable sein kann, und daß es sich bei dem gefundenen Zusammenhang zwischen Wahlchancen und Schicht-zugehörigkeit um einen Scheinzusammenhang handeln könnte, ist natürlich auch den quantitativen Forschern bewußt. Allerdings ist für sie die Möglichkeit der Suche nach Scheinzusammenhängen begrenzt, denn aufgrund des For-schungsdesigns ist in der Phase der Datenauswertung eine "Rückkehr" in die Erhebungsphase zur Sammlung weiterer Informationen und zur Untersuchung neuer Variablen nicht vorgesehen und auch schwer möglich (so kann etwa bei Fragebogenbefragungen nicht ein weiterer Bogen mit neuen Fragen hinter-hergeschickt werden, sobald man aufgrund der Analyse des ersten Fragebo-gens auf neue, theoretisch relevante Konzepte gekommen ist). Darüberhinaus führt bei quantitativen Untersuchungen auch der Glaube an die Argumentati-onsfigur der statistischen Logik dazu, statistische Zusammenhänge als Erklä-rungen anzuerkennen, auch wenn dadurch ein Verstehen von Handlungsab-läufen und deren Zusammenhängen noch nicht gewährleistet ist. 3. Das qualitative Argument 3.1 Forschungsziel qualitativer Studien Das vordringliche Forschungsziel bei quantitativen Studien ist die Überprüfung von Hypothesen, die als theoretische Konstrukte formuliert sind, etwa wie im obigen Beispiel die Überprüfung der Hypothese des Zusammenhangs von Schichtzugehörigkeit und Durchsetzungschancen. Die Kategorien des zu über-prüfenden Zusammenhangs müssen vorab theoretisch definiert sein und kön-nen sich auf beliebige Ausschnitte der Wirklichkeit beziehen. Für die praktische Überprüfung werden diese auf die

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Analyse verbaler Daten. (1992). Analyse verbaler Daten. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-90092-0

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