Online Beteiligung – Elektronische Partizipation – Qualitätskriterien aus Sicht der Politik

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Abstract

Deutschland wird nicht nur bunter (multikultureller), älter (graue Gesellschaft) und individualisierter (sinkendes Sozialkapital). Neben dieser Integrationskrise ist eine politische Legitimationskrise offensichtlich. Die politische Unzufriedenheit - insbesondere mit den politischen Parteien - manifestiert sich auf der einen Seite durch zunehmende politische Apathie und Zynismus, auf der anderen durch zunehmenden politischen Protest (Kersting und Woyke 2012) Die Steigerung der eigenen Legitimationsbasis ist ein zentrales Ziel politischer Akteure. Die Unterstützung der Bevölkerung (diffuse demaml/support und specific dernand/support s. Easton 1965) ist sowohl für die Administration und die Exekutive als auch für die gewählten parlamentarischen Repräsentanten und die Legislative wie auch für Institutionen im Inputbereich (politische Parteien, Nichtregierungsorganisationen, community based organizations) von Bedeutung. Die Unterstützung der politischen Institutionen wie ihrer politischen Vertreter steigert damit nicht nur deren Legitimationsbasis, sondern auch die Legitimation des politischen Systems an sich und somit dessen Stabilität (s. Easton 1965). Lässt man die zum Teil zynische Kritik an der "Post- Demokratie" (bzw. "Simulativen Demokratie") beiseite, die nahezu allen politischen Prozessen lediglich symbolischen Charakter zugesteht, so kann man davon ausgehen, dass in demokratischen Systemen gewählte Repräsentanten und Verwaltungen an politischer Beteiligung und Unterstützung interessiert sind. Der hohe Stellenwert breiter Beteiligung gilt dabei nicht nur aus akteursspezifischer Sicht für die Legitimationsbasis. Politische Beteiligung hat zusätzlich die Funktion des Transmissionsriemens für politische Interessen in das System, das nur hierüber Ideen und Interessen aufgezeigt bekommt und so bedarfsgerechte "zielgruppenorientierte" Politiken entwickeln kann. Die Kritik an Beteiligung ("Tyrannei der Partizipation") zeigt Probleme auf, die aber lösbar sind (s. Kersting 2008b). Politische Beteiligung orientiert sich dabei an demokratietheoretischen Qualitätskriterien und hieraus resultierenden gesetzlichen Rahmenbedingungen. Dahl benennt eine "aufgeklärte politische Beteiligung großer Teile der Bevölkerung" (Wahlrecht und weitere Beteiligungsmöglichkeiten) als eine von drei Säulen der Demokratie. Politische Partizipation ist dabei neben den grundlegenden "Menschenrechten", also der Beachtung normativer Standards (z. B. Organisations-, Meinungs- und Informationsfreiheit, rechtsstaatliehe Verfahrensweisen) sowie dem geregelten politischen Wettbewerb zwischen den wichtigen Kontrahenten ein zentrales Kriterium für Demokratien bzw. Polyarchien (DahI2006, S. 23-25). Nicht-Demokratien, wie z. B. autoritäre Regime oder Militärdiktaturen, erlauben keine hinreichende politische Beteiligung der Bevölkerung. Auch wenn sich diese, wie im Falle der Entwicklungsdiktatoren (s. für brasilianische Militärdiktaturen O'Donnell 1994), z. B. Armutsbekämpfung als Ziel definierten, scheitern diese an diesem Ziel auf grund fehlerhafter paternalistischer Politiken resultierend aus mangelnder Inklusion der Zielgruppen. Die Offenheit des Systems, die sich auf der Mikroebene über breite Beteiligung der Bevölkerung definiert, gehört somit zu den Qualifikationskriterien für Demokratien (s. z. B. Schiller 1999, Kersting 2008b). Dieses Qualitätskriterium gilt auch für elektronische Partizipation. Dabei spielt das Internet in Bezug auf die Interessenmobilisierung und -aggregation sowie für Interessenformulierung und -artikulation eine zunehmend wichtigere Rolle. Für eine ausreichende Input-Legitimation (Baston 1965) muss die Beteiligung in der elektronischen Demokratie in den jeweiligen Bereichen himeichend repräsentativ sein, sodass die Präferenzen und Interessen möglichst breiter Bevölkerungsschichten Berücksichtigung finden (Kersting 2004b, 2009). Offenheit stellt dabei eine besondere quantitative Dimension von politischer Partizipation dar. Weitere qualitative Merkmale beziehen sich auf die Gleichheit der Teilnahmechancen, der Transparenz und der Rationalität des politischen Prozesses, das heißt zum Beispiel der Rationalität der Diskurse wie auch dem Aspekt der Machtkontrolle und der Responsivität politischer Eliten gegenüber dem Bürger. Letztendlich ist auch die Effizienz des Verfahrens ein zentrales Kriterium. Online und omine Partizipation werden häufig als getrennte Beteiligungssphären angesehen. Tatsächlich scheint es jedoch einen fließenden Übergang von Omine-Beteiligung zu Online-Beteiligung zu geben. So stellt sich die Frage, wann Online-Beteiligung zur Normalität wird, wie diese gestaltet ist und wie sich Online- und Ominewelten vermischen (Margolis und Resnick 2000). Gegenwärtig divergieren die Beteiligungstrends in der Online- und Ominewelt. Auf der einen Seite wird eine dentIich sinkende Wahlbeteiligung insbesondere bei kommunalen Sekundärwahlen (Omine) konstatiert. Gleichzeitig hat es auf der anderen Seite nie eine derartig hohe Zahl an Abstimmungen und Votes gegeben, wie sie derzeit im Internet und insbesondere den sozialen Netzwerken, wie z. B. Facebook abgegeben werden. Zusätzlich wird sinkendes Sozialkapital zu einem Problem, da es durch Individualisierung und die Auflösung sozialer Milieus zu Vereinzelung und zu Vereinsamungsprozessen kommt. Anderseits gewinnen die sozialen Netzwerke im Internet rasant an Mitgliedern und die Zahl sozialer Beziehungen scheint mit enormer Geschwindigkeit zuzunehmen (Abbot! 2012, Kersting 2012a, Gräßer und Hagedorn 2012). Ferner zeigt sich ein Verlust publizistischer Vielfalt durch die Krisen und den Konkurs von Tageszeitungen, wie zum Beispiel der Frankfurter Rundschau oder der Ruhr Nachrichten. Gleichzeitig nimmt auf der anderen Seite die Zahl der Bürgerjoumalisten ("Produser", "Prosumenten") sowie der Foren und Arenen, die im Internet deliberative Prozesse betreiben, zu. Zunächst wirft sich die Frage auf, inwiefern die Onlineverfahren breiten Bevölkerungsgruppen die Möglichkeit geben, sich zu beteiligen ("Digital Citizenship"). Hieran anschließend muss man sich fragen, ob es neben dem bloßen Ersatz analoger Verfahren durch digitale auch zu einem gleichwertigen Äquivalent gekommen ist (Qualität der Demokratie). Hat elektrouische Demokratie die klassischen Formen der analogen Offline-Demokratie adäquat ersetzt? Dabei werden die Ziele von politischer Partizipation neben der Möglichkeit der Einflussnahme definiert. Als Qualitätskriterien gelten die oben aufgeführten Fragen der Offenheit, Rationalität, Responsivität und Effizienz. Zunächst sollen aber zentrale Charakteristika politischer Partizipation online wie offline, digital wie analog dargestellt werden. Hieröber wird eine Typologie politischer Beteiligung entwickelt, die auf die elektronischen Beteiligungsinstrumente übertragen wird.

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Kersting, N. (2014). Online Beteiligung – Elektronische Partizipation – Qualitätskriterien aus Sicht der Politik. In Internet und Partizipation (pp. 53–87). Springer Fachmedien Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-01028-7_3

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