Interdisziplinarität und wissenschaftliche Bildung

  • Stichweh R
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I Was ist eine wissenschaftliche Disziplin? Seit dem späten 18. Jahrhundert ist die wissenschaftliche Disziplin die primäre Einheit der Innendifferenzierung des Wissenschaftssystems der modernen Ge-sellschaft. Die wissenschaftliche Disziplin ist eine Form der Systembildung, die auf mindestens drei Ebenen identifiziert werden kann. In sozialer Hinsicht haben wir es mit einer Gemeinschaft von Spezialisten zu tun, die sich mit der jeweili-gen Disziplin identifizieren und über die Disziplin identifizierbar machen. Ein solcher Sozialzusammenhang von Teilnehmern tauscht seine Mitglieder unabläs-sig aus, man gehört Jahre, allenfalls Jahrzehnte, zu einer Disziplin oder Subdis-ziplin und das System erhält und erneuert sich auf der Basis der temporären Bindung und des laufenden Austauschs seiner Mitglieder. In kognitiver Hinsicht sind Disziplinen jeweils eine selbstreproduzierende Population von Begriffen, Theorien und Methoden. Diese elementaren kogniti-ven Bestandteile werden wiederholt, miteinander kombiniert und variiert. Ähn-lich, wie dies auf der Sozialebene der Fall ist, treten ständig neue Elemente in diese Population ein-und es werden ältere Elemente durch Nichtweiterbenut-zung und andere Mechanismen ausgeschieden. Schließlich gibt es eine kommunikative Ebene der Existenz und der Repro-duktion der jeweiligen wissenschaftlichen Disziplin. Auf dieser Ebene besteht die Disziplin aus einzelnen kommunikativen Akten und deren Verknüpfung miteinander und Bezugnahme aufeinander. Im Wissenschaftssystem kommen viele Typen von Kommunikationen vor. Aber es hat sich, verstärkt in der Mo-derne, eine Selbstsimplifikation der im Wissenschaftssystem beobachtbaren Kommunikationen vollzogen, die unter den vielfältigen Kommunikationsformen des Systems die Publikation besonders auszeichnet. Die Publikation ist diejenige kommunikative Form, in die die Erkenntnis-und Wahrheitsansprüche des Wis-senschaftssystems schließlich transponiert werden, sobald man glaubt, den Punkt erreicht zu haben, dass man einen systemweiten (=weltweiten) Geltungsanspruch für die jeweiligen Erkenntnisse und Wahrheitsbehauptungen vertreten kann.

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Stichweh, R. (2017). Interdisziplinarität und wissenschaftliche Bildung. In Fundiert forschen (pp. 181–190). Springer Fachmedien Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-15575-9_14

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