Es mag sonderbar anmuten, sich der feministischen Ethik der Fürsorglichkeit zuzuwenden, um über das Wesen der Demokratie nachzudenken. Der Begriff des Fürsorgens selbst scheint eigentlich auf all das bezogen zu sein, was nicht demokratisch ist. Fürsorge evoziert Bilder von Ungleichheit, von Macht-und Autoritätsgefälle (Eltern und Kinder, Arzt und Patient, Herr und Knecht), nicht aber von Beziehungen unter Gleichen. Ja, würde man in der Geschichte des politischen Denkens nach »Fürsorge« suchen, so würde sich herausstellen, daß sie entweder aus der Politik ausgeschlossen oder aber von dem einen oder an-deren Typus einer hierarchischen politischen Institution, wie der Sklaverei, dem Kolonialismus oder monarchistischer Herrschaft zur Selbstlegitimation in Anspruch genommen wird. Trotz dieser zugegebenermaßen ungünstigen Auspizien möchte ich behaup-ten, daß einer der notwendigen Wege zur Rekonzeptualisierung von Demokra-tie darin besteht, sie als fürsorgliche Praxis zu begreifen. Der gegenwärtige Triumph der Demokratie (vgl. Dunn 1992) verdeckt, daß Demokratie in der abendländischen Geschichte der Philosophie und der Politik fast immer als eine ziemlich schlechte Form politischer Ordnung galt. Die Brüchigkeit unse-res demokratischen Sieges ist denn auch nicht schwer zu erkennen. Trotz aller Gloriolen um die Demokratie ist es für Demokratietheoretiker und für Länder mit einer demokratischen Praxis immer noch ausgesprochen schwierig, mit Problemen der Differenz zurecht zu kommen. 2 Ich selbst halte mich für eine genuine Pluralistin und meine, daß die gegenwärtige Welle der Feier von Dif-ferenz nicht weit tragen wird, die Begeisterung kann allzu schnell verfliegen. Die geläufige Art, in der Demokraten mit Differenzen innerhalb der politi-schen Ordnung umgegangen sind, bestand darin, diejenigen auszuschließen, die anders waren: Einmal wurden die, die man für anders hielt, unrechtmäßig ausgeschlossen (z.B. indem Bürger-oder Wahlrechte eingeschränkt wurden). Ein anderes Mal marginalisierten die Machthaber diejenigen, die sie als die Anderen etikettierten. Manchmal schaffen die Mächtigen strukturelle Barrie-ren, indem sie formell Integration gewähren, die aber faktisch auf Ausschluß hinausläuft. Wir könnten annehmen, diese Formen des Ausschlusses seien ein-fach Fehler, Ergebnisse theoretischer und praktischer Kurzsichtigkeit, die sich in fortgeschrittenen Zeiten vermeiden ließen. Feministische Relektüren der Feministische Stadien extra/2000
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Tronto, J. (2000). Demokratie als fürsorgliche Praxis. Feministische Studien, 18(s1), 25–42. https://doi.org/10.1515/fs-2000-s104
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