Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden

  • Ruppert-Tribian H
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In diesem Brief an Rühle von Lilienstern rät Heinrich von Kleist ihm, Probleme, die er nicht durch Meditation lösen kann, dadurch zu lösen, indem er mit anderen darüber spräche. Dabei ist nicht wichtig, dass das Gegenüber in der Materie steckt, sondern das eigene Reden über den Sachverhalt ist der ausschlaggebende Punkt. Mit dieser Methode könne man sich selbst am besten belehren: „Die Idee kommt beim Sprechen“. Kleist selbst habe diese Idee gehabt, als er beim Brüten etwa über eine algebraische Aufgabe nicht weiter kam, aber im Gespräch mit seiner Schwester darüber eine Lösung fand. Die Schwester selber habe keine Ahnung von der Materie, aber die bereits vorhandene „dunkle Vorstellung“ in Kleists Kopf wird durch das Gespräch präzisiert, da man sich durch das Reden zwingt, dem Anfang auch ein Ende hinzuzufügen (also die Gedanken zu strukturieren). Zwar kann man einen Sachverhalt nun auch alleine sich selbst vortragen, doch ist der zweite Gesprächsaktant insofern wichtig, als dass er die absolute Notwendigkeit herstellt, strukturiert zu reden, da er ja nicht in der Materie steckt. Zudem könne es befördernd wirken, wenn der Gesprächspartner zu erkennen gibt, dass er einen „halb ausgedrückten Gedanken schon […] begriffen“ habe – Kleist geht es also nicht um die Mäeutik im Sinne Sokrates’. Nach Kleists Überzeugung haben auch andere große Redner diese Technik angewandt und wussten beim Beginn des Redens noch nicht, wie die Rede enden würde – als Beispiel führt er Mirabeau in der Französischen Revolution vor dem Ballhausschwur an

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Ruppert-Tribian, H. (1991). Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden. In Ein Traum, was sonst? (pp. 189–189). J.B. Metzler. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03375-8_19

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