Abschlußbericht “Konzept Nachhaltigkeit — Vom Leitbild zur Umsetzung”

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Grundlagen für unsere Zukunft zu bauen - ein Anliegen, das wir im bewegten poli- tischen Alltag leicht aus den Augen verlieren. Wir spüren aber zunehmend, daß unser gesellschaftliches Fundament dringend einer Renovie rung bedarf, denn techni- scher Fortschritt und gesellschaftlicher Wandel stellen uns täglich vor neue Her- ausforderungen. Die Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Um- welt" geht deshalb neue Wege: Die Phase des Theoretisierens muß endlich vorbei sein, die Kommission formuliert darum nicht nur konkrete Zielvorstellungen, son- dern vor allem einen gangbaren Weg, wie Nachhaltigkeit tatsächlich umgesetzt werden kann. Eine solche Nachhaltigkeitsstrategie für Deutschland muß Ziele, Inst rumente und Maßnahmen in Beziehung zueinandersetzen. Dabei sind - wie für jedes andere Vor- haben - drei wesentliche Fragen zu beantworten: „Was" soll erreicht werden, d. h. welche konkreten Ziele verbergen sich hinter der allgemeinen Zustimmung zum Leitbild der Nachhaltigkeit? „Wie", also mit welchen Instrumenten und Maßnahmen kann dies erreicht werden? und „Wer" ist dabei jeweils verantwortlich? In der Kritik steht vor allem das Netzwerk der Institutionen, die unsere Gesellschaft steuern helfen; Grund genug für die Kommission, hier einen Arbeitsschwerpunkt zu setzen. Welche Rolle soll der Staat im Strukturwandel spielen? Im Idealfall eine ge- staltende, indem er geeignete Rahmenbedingungen schafft. Er muß vermitteln zwi- schen unterschiedlichen Einzelinteressen, und er muß sich für gleiche Chancen ein- setzen. Nicht die Einzelregelung, das ordnungsrechtliche Gebot oder Verbot soll an der Spitze der Handlungsoptionen stehen, sondern geeignete Inst rumente für eine gemeinsame Zielformulierung und ein effizientes Control ling. Dort, wo der Markt funktioniert, gilt es mit marktwirtschaftlichen Mitteln zu erreichen, daß möglichst viele Menschen mitarbeiten können und am Erfolg der Arbeit teilhaben. Do rt, wo der Markt offensichtlich versagt, etwa in der Vorsorge für die „eine Welt", also für unsere natürlichen Lebensgrundlagen ebenso wie für globale Mindeststandards, muß gehandelt werden. So muß die Nutzung von Natur und Umwelt Eingang in die Kostenrechnungen finden. Um diesem Anspruch auch in der Institutionenlandschaft gerecht werden zu können, plädiert die Kommission für eine Straffung und neue Aufgabenstellungen des be- stehenden Institutionengeflechts. Die Einsetzung eines Rates für nachhaltig zukunfts- verträgliche Entwicklung wird empfohlen, angesiedelt beim Bundeskanzleramt, aus- gestattet mit dem Recht zur Selbstbefassung und unabhängig von den Legislaturperio- den. Als weitere Bausteine hat die Kommission, unter Berücksichtigung bereits vor- handener oder zeitgleich an anderer Stelle geleisteter Betrachtungen, Empfehlungen am Beispiel dreier praxisnaher Handlungsfelder erarbeitet: Das Thema Versauerung von Böden steht stellvertretend für eine klassische umwelt- politische .Problemstellung. Der Mensch greift seit langem durch Landnutzung, Be- bauung und Versiegelung in die natürlichen Bodenfunktionen ein. Doch auch durch die Einwirkung von Luftschadstoffen, vor allem durch Säurebildner verändert sich der Boden zum Schaden unseres Ökosystems. So werden säureempfindliche Pflan- zen- und Tierarten geschädigt oder sterben aus, Waldschäden nehmen seit Jahr- zehnten zu und die Qualität des Grundwassers verschlechtert sich. In der Vergan- genheit wurden verschiedene Reduktionsziele für den Eintrag versauernd wirkender Substanzen diskutiert. Die Enquete-Kommission unterstützt die Zielvorstellungen der EU-Kommission für eine Gemeinschaftsstrategie, die überkritisch belastete Flä- che (Stand 1990) bis zum Jahr 2010 zu halbieren. Darüber hinaus müssen weiterge- hende Maßnahmen ergriffen werden, zumal technisch und wirtschaftlich ein erheb- liches Potential vorhanden ist. So spielen auch andere Sektoren eine wichtige Rolle: Beispielsweise bedeutet die Einhaltung des CO 2-Reduktionsziels von 25 % nicht nur einen Erfolg im Klimaschutz, sondern liefert auch einen erheblichen Beitrag zur Reduktion der Versauerung. Obergrenzen für Tierbestände pro Fläche oder die Aus- weitung des ökologischen Landbaus bieten erhebliche Minderungspotentiale für den Ammoniak-Ausstoß, und im Verkehrssektor reichen die Möglichkeiten von den neuen Euro-Normen für Kraftfahrzeuge bis zur Neuordnung verkehrsbezogener Steuern. Das Handlungsfeld Bauen und Wohnen ist gleichermaßen von zentraler wirtschaftli- cher und sozialer Bedeutung, und es bietet die größten Handlungspotentiale für eine nachhaltige Gestaltung unseres derzeit verschwenderischen Umgangs mit Ressour- cen. So liegt der aktuelle Flächenverbrauch z. Zt. mit mehr als 120 Hektar pro Tag noch über dem langjährigen Mittel. Daher einigte sich die Kommission schon im Zwischenbericht auf das vorläufige Umwelthandlungsziel, bis 2010 eine Verringe- rung der Umwandlungsrate von unbebauten Flächen in Siedlungs- und Verkehrs- flächen auf 10 % der Rate für die Jahre 1993 bis 1995 zu erreichen. Darüber hinaus regt die Kommission an, etwa 15% der Fläche Deutschlands dem Naturschutz zu widmen. Unter Berücksichtigung auch der sozialen und ökonomischen Dimension werden drei Strategien für die zukünftige Bau- und Wohnungspolitik vorgeschlagen: Die Stärkung städtischer Strukturen gegen das zunehmende Wachstum in die Fläche (Stadt der kurzen Wege), die Konzentration auf den Wohnungsbestand, sowie res- sourcensparendes Bauen und Wohnen. Hier müssen ökonomische und fiskalische Instrumente verändert werden. Im Vordergrund müssen eine Reform der Grund- steuer, eine Versiegelungsabgabe, die weitere Umorientierung der Wohnungsbau- förderung auf den Bestand und auf ökologisches Bauen, eine Änderung der Hono- rarordnung für Architekten, eine Stärkung der Regionalplanung und allgemeine Maßnahmen zur Verbesserung der Kooperation und der Information stehen. Dazu gehört beispielsweise auch die Einführung eines Gebäudepasses, der u. a. Auskunft über Energiekennzahlen gibt. Am Thema Informations- und Kommunikationstechniken schließlich können die Aspekte Zukunft und menschen- bzw. bedarfsgerechte Innovation beleuchtet wer- den. Zwar lassen uns die schnellen Innovationszyklen in der Branche kaum Zeit zum Luftholen, dennoch ist es höchste Zeit, die Potentiale der IuK-Technik für die Schaffung einer nachhaltigen Zukunft zu nutzen. Zu den Zielen zählt einerseits die Optimierung der IuK-Technik selbst, beispielsweise durch die Minimierung des Energieverbrauchs in der Produktion und im Gebrauch (z. B. unnützer Stand-by-Ver- brauch), die Verringerung von Elektronikschrott und die Vermeidung von Problem- stoffen. Andererseits müssen aber vor allem auch die Anwendungen der IuK-Tech- nik zu mehr Nachhaltigkeit beitragen. Hier reichen Zielsetzungen von der Verminderung des Fachkräftemangels über die Sicherung des freien Informationszuganges in der Bevölkerung und die Schaffung neuer Aus- und Weiterbildungsangebote bis zur Minimierung der Umwelt- und So- zialkosten unserer gesamten Produktion vom Rohstoff bis zum Abfall. Mit der Strate- gie der „informierten Gesellschaft" werden Verständigungsprozesse verbessert, wird Medienkompetenz ebenso wie Nachhaltigkeitskompetenz gestärkt. Hier sind die Sicherung eines informationellen Grundangebots sowie der freie Zugang zu Infor- mations- und Kommunikationsquellen wichtige Schlüsselfunktionen. Nachhaltigkeit muß zur Chefsache werden und im Mittelpunkt der Bemühungen des Staates stehen. Eine ökologische Finanzreform muß ebenso angegangen werden wie die Förderung sozialverträglicher Innovationen. Neben der Nabelschau ist aber auch der Blick auf das globale Geschehen wichtig. Von einer Weltumweltorganisa- tion, ausgestattet mit der notwendigen Kompetenz, könnten hier entscheidende Im- pulse erwartet werden. Letztlich muß das Thema Nachhaltigkeit in allen Bereichen von Wi rtschaft und Ge- sellschaft weit oben auf die Agenda gesetzt werden, damit der Prozeß der Globa- lisierung mehr Chancen als Risiken bietet. Auch wenn wir nur eine ungenaue Vor- stellung davon haben, wie das Ziel „nachhaltige Gesellschaft" aussieht, können wir doch Schritt für Schritt einen Richtungswechsel vollziehen und die Weichen in Rich- tung Nachhaltigkeit stellen. Der vorgelegte Bericht will alle einladen, sich an diesem Zukunftsprojekt zu beteiligen.

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Bundestag, D. (1998). Abschlußbericht “Konzept Nachhaltigkeit — Vom Leitbild zur Umsetzung.” Umweltwissenschaften Und Schadstoff-Forschung, 10(4), 244–244. https://doi.org/10.1007/bf03038154

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