In narrativen Interviews werden die Gesprächspartner veranlasst, spontane Stegreiferzählungen zu den interessierenden Forschungsfragen zu erzeugen. Eine solche Methode wird in der Organisationsforschung selten eingesetzt. Gerade das, was Organisationen ausmacht, ihre Ausbildung von Zwecken, Routinen und Mitgliedsrollen, scheint sich gegen die Lebensweltlichkeit des Erzählens zu sträuben. Andererseits sind Organisationen Räume sozialer Erfahrung. Hier handeln Menschen, sie (re)produzieren organisationelle Strukturen, deuten Situationen, bringen ihre Identitäten als Organisationsmitglieder und Personen ins Spiel, schließen Ereignisse aneinander an und stellen Kontinuitäten her. Und wie man als Organisationsmitglied und -forscher weiß, kursieren auch und gerade in Organisationen Geschichten, gibt es Helden und Schurken, Erfolgsstorys und Tragödien. Die Produktion von Erzählungen ist auch hier „the preferred sense-making currency of human relationships among internal and external stakeholders“ (Boje 1991, S. 106). Es könnte sich also lohnen, die erzählerischen Kompetenzen von Interviewpartnern gezielt zu nutzen, um mit den Möglichkeiten dieser Methode „hinter“ das Erzählte zu blicken und neben den offensichtlichen Akteurskonstellationen und Ereignisketten auch hintergründige Strategien, constraints und Handlungsblockaden zu entdecken.
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Holtgrewe, U. (2009). Narratives Interview. In Handbuch Methoden der Organisationsforschung (pp. 57–77). VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91570-8_4
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