Nachhaltigkeitszertifizierung im Bauwesen – Sachstand und Defizite

  • Hegger M
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Im Bauen besteht ein ungewöhnliches Vertrauensgefälle. Baustoffe und Bauelemente aus industrieller Großproduktion genießen vielfach einen ausgezeichneten Ruf. Immer wieder stehen demgegenüber die Qualität des Endproduktes Gebäude und die Schwierigkeiten bei seiner Entstehung zur Diskussion. Es sind nicht nur die bekannten, hochkomplexen Großbauvorhaben wie der neue Flughafen Berlin oder die Elbphilharmonie in Hamburg. In ihrem Schatten erleben wir fast regelhaft erhebliche Mängel und Nachbesserungsbedarf bei Neubauten, Schwierigkeiten beim Einfahren der Gebäudetechnik. Die damit verbun-dene Verschwendung von baulichen Ressourcen und der emotionale Aufwand sind enorm. An mangelnden Vorschriften und Normen kann das nicht liegen. Die Reglementierung im Planen und Bauen ist extrem dicht. Allein 3000 DIN-Normen fallen in den Bereich des Bauwesens. Viele Verordnungen und Gesetze kommen hinzu. Sie regeln alle Ebenen von der Rohstoffgewinnung über die verschiedenen Stufen der Verarbeitung und den Einbau bis hin zum " end of life " . Das Vertrauensgefälle lässt sich insbesondere durch die Verkettung verschiedener Besonderheiten des Produktes " Gebäude " und seiner Herstellung erklären. Nahezu je-des Gebäude ist ein Einzelfall. Es lässt sich aufgrund der gestellten Anforderungen und seiner Einbindung in eine ganz spezifische räumliche Situation nicht als Serienprodukt herstellen. Hinzu kommt: Die Verfügbarkeit preiswerter Arbeitskräfte im Bausektor, dies in Verbindung mit oft mangelnder Qualifikation, führt zu mehr oder minder archaischen Produktionsweisen mit entsprechend hoher Fehleranfälligkeit. Die in Bauprodukten meist noch vorzufindende hohe Qualität findet ihre Grenzen in fehleranfälliger Verarbeitung in Baustellensituationen. Die Komplexität jedes modernen Gebäudes tut ein Übriges: Was im Einzelnen gut funktioniert, versagt gerne im komplexen Kontext. Dies gilt besonders für die Gebäudetechnik. Vorfertigung bleibt die Ausnahme. Die Präqualifikation von aus-führenden Unternehmen (PQ) als Selbstauskunft hilft da nicht wirklich weiter. Schlüssel-probleme sind die Verschwendung von Baustoffen und die mangelnde Energieeffizienz von Gebäuden. Vor diesem Hintergrund ist nur zu verständlich, dass die Europäische Union eine In-itiative gestartet hat, die schon sehr bald zu verbesserten Qualitäten in der Energieef-fizienz führen soll. Entsprechend zertifizierte, bessere und " grünere " Gebäude sind das Ziel. Die entsprechende EU-Gebäuderichtlinie, die Energy Performance Building Direc-tive (EPBD), hat, wie der Name schon andeutet, allerdings einen Mangel. Sie stellt die durchaus wichtigen energetischen Qualitäten des Gebäudes in den Mittelpunkt der Zertifi-zierung, lässt jedoch die Behandlung vieler weiterer Qualitätsmerkmale vermissen. Diese Fokussierung auf Energie setzt sich in nationalen Richtlinien wie der Energieeinsparver-ordnung (EnEV) fort. Zu einem besseren und grüneren Gebäude, wie es die EU anstrebt, gehört weitaus mehr als nur eine makellose Energieeffizienz in Verbindung mit der Nutzung erneuerbarer Energien über das Gebäude. Es sollte hohe Maßstäbe an technische, wirtschaftliche, öko-logische und sozial-kulturelle Eigenschaften erfüllen und hierzu eine gute Prozessqualität aufweisen, also gut geplant und bewirtschaftet sein. Kernthemen neben dem Energiever-brauch im Gebäudebetrieb sind u. a.: • Räumliche, soziale, und energetische Einbindung des Gebäudes in das Quartier und die Stadt (Vernetzung), • Kontrollierte Flächenansprüche an Grundstück und Gebäude (geringer physischer Fußabdruck), • Sparsamer Umgang mit Baustoffen durch intelligente Konstruktion und CO 2 -minimierte Materialwahl mit der Möglichkeit eines globalen Recyclings am Ende der Lebensdauer (kleiner ökologischer Fußabdruck), • Lebensdauergerechtes Konstruieren, das den einfachen Austausch von Elementen kür-zerer Lebensdauer ermöglicht (Wartungsfreundlichkeit), • Langlebigkeit durch hohe Anpassungsfähigkeit, intelligente Tragstruktur und Baustoff-wahl (Dauerhaftigkeit), • Einfache und gut handhabbare Gebäudetechnik mit entsprechend guten baulichen Vor-aussetzungen hierfür (Robustheit), • Hohe soziale und kulturelle Eigenschaften, Beitrag zur Baukultur (Architekturqualität).

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Hegger, M. (2016). Nachhaltigkeitszertifizierung im Bauwesen – Sachstand und Defizite. In Zertifizierung als Erfolgsfaktor (pp. 509–512). Springer Fachmedien Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-09701-1_38

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