Als am 1. Mai 1786, drei Jahre vor Ausbruch der Französischen Revolution, Mozarts Figaro am Wiener Hof uraufgeführt wurde, konnte dies als ein gewagter Akt politischer Subversion gedeutet werden. Auf ausdrücklichen Wunsch von Mozart hatte Da Ponte sich jenes Stück von Beaumarchais als Vorlage für das Libretto genommen1, das 1784 unter dem Titel La folle journée ou Le Mariage de Figaro einen sensationellen Erfolg feiern konnte. Es war ein Stück, das in ganz Europa als revolutionär verstanden wurde, von dem Ludwig XVI. später meinte, es habe den Sturm auf die Bastille angekündigt, und zu dem Napoleon lapidar bemerkte, es sei das Fanal der Revolution gewesen. Solche Urteile gründeten weniger auf bestimmten, politisch als provokant empfundenen Einzelaspekten des Stückes, etwa darauf, daßhier ständische Privilegien gegen den Geist der Zeit wiederbelebt werden sollten, feudale Umgangsformen bloßgestellt werden, die Domestiken sich als den Herren überlegen erweisen, Erotik zur Ware verkommt und Intrigen die vorgegebene soziale Ordnung zersetzen. Sie gründeten vielmehr in der Überzeugung, daßdas Gesamttableau der Komödie eine Situation vorführte, in der sich die sozialen und gesellschaftlichen Widersprüche des alten Ständesystems wie in einem Brennglas verdichteten. La falle journée erschien den Zeitgenossen als Theatralisierung all jener Gründe, die wenig später mit dazu beitrugen, daßdie revolutionären Sprengsätze in Paris erfolgreich gezündet werden konnten.
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Bermbach, U. (2003). Revolution als Gesellschaftsspiel Mozarts Figaro als politisches Stück. In »Der moderne Komponist baut auf der Wahrheit« (pp. 220–227). J.B. Metzler. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02925-6_28
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