Die politische Sprache unterstellt, das ,Volk‘, (die ,Nation‘, die ,Ethnie‘) sei eine soziale Einheit. Diesem Sprachgebrauch folgend beschreiben auch Sozialwissenschaftler das ,Volkes‘ oft als eine objektiv gegebene Realität. Die Analyse hat jedoch unter ,Volk‘ zunächst eine subjektive Vorstellung oder Idee zu verstehen. Diese hat die Funktion, die persönliche Identität von Menschen auszulegen. Erst durch die subjektive Vorstellung von Gemeinsamkeiten konstituiert sich das ,Volk‘ als die Summe aller Menschen mit derselben Volkszugehörigkeit. Die objektiven Merkmale, auf die sich diese Vorstellung beruft, begründen diese nicht, sondern werden von dieser als ihre sekundären Objektivationen hervorgebracht. Indem eine Gesellschaft als ,Volk‘ zu einem Begriff von sich selbst gelangt, bekommt der Volksbegriff eine politische Funktion. Weil dadurch Abgrenzungen und Ordnungen legitimiert werden, unterliegt die konkrete Definition des jeweiligen ,Volkes‘ stets Interessen. Obwohl das ,Volk‘ vordergründig als ein partikularistisches Phänomen erscheint, ist es eine Schöpfung des modernen Universalismus. Dieser kann nicht das ,Volk‘, wohl aber mythologische Elemente seiner sekundären Objektivationen kritisieren.
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Hoffmann, L. (1991). Das ,Volk‘. Zeitschrift Für Soziologie, 20(3), 191–208. https://doi.org/10.1515/zfsoz-1991-0302
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