Burnout und Depression … Überschneidung und Abgrenzung

  • Brühlmann T
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Abstract

Obwohl Burnout keine offizielle Diagnose ist, stellt sich in der Praxis immer wieder die Frage, wie sich Burnout und Depression unterscheiden. Die Frage ist nicht leicht zu beantworten. Es lohnt sich, das Burnout-Depressions-Feld aufzugliedern und Antworten auf folgende vier Fra-gen herauszuarbeiten: 1. Findet man in der gesellschaftlichen Entwicklung ein ätiologisches Kriterium, welches Burnout von De-pression abgrenzt? 2. Lassen sich Burnout und Depression deskriptiv unter-scheiden? 3. Liefert die Stresstheorie einen Weg, um die Patho-genese von Depression und Burnout zu differenzieren? 4. Wie weit grenzt sich die Burnouttherapie von der De-pressionstherapie ab? Die gesellschaftliche Entwicklung als Kausalfaktor Burnout wird in einen engen Zusammenhang mit der ak-tuellen gesellschaftlichen Situation gesetzt. Was damit gemeint ist, lässt sich anhand von zwei bekannten Sozio-logiebüchern aufzeigen. Der englische Soziologe Richard Sennett hat 1998 das Buch «The Corrosion of Character» herausgegeben. Er beschreibt darin, wie die gesellschaftlich-wirtschaftliche Entwicklung den Charakter des Menschen untergräbt und zerstört. Nicht mehr Verbindlichkeit und Tiefgang zählen, sondern die flexible Oberflächlichkeit (auf Deutsch kam das Buch unter dem Titel «Der flexible Mensch» heraus). Der heutige Imperativ zur Flexibilität birgt die Gefahr eines Driftings, eines ziellosen Dahintreibens, in sich. Man hat sich nach dem Momentanen, dem unmittel-bar Erfolgversprechenden zu richten. Das Beständige und Haltgebende wird fortlaufend zerstört. Damit kann kein integrierendes Ganzes mehr wachsen. Sowohl auf betrieblicher wie auch auf individueller Ebene kommt es zur Fragmentation: Die Globalisierung führt zu Grossfir-men, die aus lose vernetzten Einzelbetrieben ohne inte-grierendem Zentrum bestehen, die Identität des Einzelnen ist ein Patchwork aus verschiedensten, auch widersprüch-lichen sozialen Rollen und Teilidentitäten. Dies führt zu dem, was Sennett die «Stärke der schwachen Bindungen» nennt: Die Beziehungen bestehen, so lange sie nützlich sind, sie sind nicht mehr in einer vertrauensvollen Loya-lität verwurzelt. Auch die Teamarbeit lebt nicht mehr aus einer tiefer gehenden Verbundenheit, sie ist zu einer Maske der Kooperativität geworden, zu einer – so Sen-nett –«Gruppenerfahrung der erniedrigenden Oberfläch-lichkeit». Ein anderes Buch, welches die heutige Gesellschafts-situation prägnant charakterisiert, ist «Das unter-nehmerische Selbst» des deutschen Soziologen Ulrich Bröckling aus dem Jahre 2007. Er zeigt die zunehmende Ökonomisierung und Kommerzialisierung in der heutigen Zeit auf. Obwohl man oft von Leistungsgesellschaft spricht, zählt genau betrachtet nicht mehr die Leistung, sondern das raffinierte Marketing. Auch das Leben des Einzelnen hat heute –will er überleben –ein Unternehmen zu sein: Im beruflichen und sozialen Feld bestimmt das Kosten-Nutzen-Kalkül, man ist in erster Linie sich selbst verpflichtet (self commitment), hat sich zu disziplinieren und seine Kräfte zu mobilisieren (self empowerment) und sich optimal zu verkaufen (self marketing). «Ich» und «Leben» sind ein Projekt: Plane strategisch, coach yourself! Dazu gehört das Qualitätsmanagement als Dik-tat der ständigen Optimierung. Sowohl in den Betrieben als auch in Umgang mit sich selbst («Selbstregierung») hatessich zum versteckten Machtinstrument entwickelt. Im sozialen Bereich strebt das unternehmerische Selbst Beziehungen nach den Vertragsmustern an: Der Egoismus des anderen soll eingebunden werden in einen Kontrakt, der nicht mehr der Ethik verpflichtet ist, sondern das strategische Ziel einer Win-win-Situation verfolgt. Eine so charakterisierbare Sozietät entspricht nicht der zu mehr prädestinierten menschlichen Natur. Dass man in einem derart harten Wettkampf ausbrennen kann, ist augenfällig. Haben wir somit mit dem Blick auf den Zeit-geist einen Kausalfaktor gefunden, der Burnout von De-pression differenziert? Dem ist nicht so. Dies lässt sich anhand einesanderen, ebenfalls weit verbreiteten Sozio-logiebuches aufzeigen, nämlich von «La Fatigue d'être soi», welches der französische Soziologe Alain Ehrenberg 1998 herausgegebenhat. Er beschreibt darin die Depres-sion als die zeittypische Modekrankheit. In der hektischen

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Brühlmann, T. (2010). Burnout und Depression … Überschneidung und Abgrenzung. Swiss Medical Forum ‒ Schweizerisches Medizin-Forum, 10(08). https://doi.org/10.4414/smf.2010.07096

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